Rz. 53

An übergeordneten Rechtsvorschriften bedarf bei der Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau des Weiteren bei auch zu Wohnzwecken genutzten Räumen der Berücksichtigung von Art. 8 EMRK.[1] Nach dem Abs. 1 – dieser von allen deutschen Behörden und Gerichten zu beachtenden Vorschrift[2] – hat jede Person das Recht auf die Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Dabei ist der Begriff der Wohnung i. S. d. Art. 8 MRK weit auszulegen, er kann im Einzelfall auch Geschäftsräume umfassen. Eingriffe in die genannten Rechte sind nur unter den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Fällen zulässig.

 

Rz. 54

Allgemein ist zwar davon auszugehen, dass dem Inhalt dieser Vorschrift unter Beachtung der geschilderten innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen bei Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau i. d. R. hinreichend Genüge getan wird, problematisch dürfte aber auch in dieser Hinsicht das Recht zum Betreten gemischt genutzter Räume sein.[3] Als Faustregel kann hier festgehalten werden, dass dann, wenn der Schutzbereich des Art. 13 GG betroffen ist, auch Art. 8 MRK betroffen sein kann.

 

Rz. 55

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) bei seinen Entscheidungen wegen der Beachtung des Art. 8 MRK immer zusätzlich die Verhältnismäßigkeit der hoheitlichen Maßnahme für geboten erachtet. Dieses Merkmal bedarf zwar auch nach deutschem Recht der Beachtung, die Rechtsprechung des EGMR gewinnt aber gerade unter diesem Aspekt in den letzten Jahren zunehmend auch für die nationalen Rechtsordnungen an Bedeutung, weil das Gericht z. T. anders (enger) entscheidet als nationale Gerichte. Der EGMR hatte z. B. bereits in einem Einzelfall gegen die deutsche Rechtsanwendung (allerdings im Strafverfahren) entschieden, weil die Anforderungen des Art. 8 EMRK nicht ausreichend beachtet wurden.[4] In Anbetracht der engen Sichtweise des EGMR erscheint es m. E. zweifelhaft, ob dieses Gericht ein Betreten von gemischt genutzten Räumen gegen den Willen des Inhabers – auch wenn diese teilweise unternehmerisch genutzt werden – im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau ohne das Vorliegen von Gefahr in Verzug oder der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hinnehmen würde.[5]

[1] Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten.
[2] In Deutschland ist die Konvention am 15.12.1953 in Kraft getreten; BGBl I 1954, 14.
[3] Vgl. vorstehend in Rz. 40ff.
[4] EGMR [III. Sektion] v. 28.4.2005, 41604/98, Buck/Deutschland, NJW 2005, 1495.
[5] Vgl. nur EGMR v. 16.10.2007, 74336/01, Wieser u. Bicos Beteiligungen GmbH/Österreich, NJW 2008, 3409.

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