Rz. 40

Einen rechtsstaatlich äußerst sensiblen Bereich der Anwendung des § 27b UStG stellt die Frage nach der Möglichkeit des Betretens von Wohnräumen im Rahmen der Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau dar[1], denn die Wohnung erfährt durch Art. 13 des Grundgesetzes (GG) einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, der deutlich über den Schutz anderer Räume – wie Geschäftsräume – hinausgeht. Gem. Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung unverletzlich und nach dem Abs. 2 der Vorschrift dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. Die Möglichkeit des Betretens von Wohnräumen – und hier insbesondere von gemischt genutzten Räumen – ist, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, wegen dieses hohen verfassungsrechtlichen Schutzes eine absolut praxisrelevante Frage im Zusammenhang mit § 27b UStG, auch weil dem Gesetzgeber hier handwerkliche Fehler unterlaufen sind.[2] Die besondere Bedeutung dieses Betretensrechts im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau ergibt sich daraus, dass gerade neu gegründete Unternehmen in ihrer Gründungsphase oft von der Wohnung des Unternehmers aus betrieben werden; es existiert keine separate Unternehmensadresse. Dazu bleibt zu ergänzen, dass durch eine Umsatzsteuer-Nachschau – je nach Fallkonstellation – auch in weitere Grundrechte oder grundrechtsähnliche Rechte eingegriffen werden kann, wie z. B. den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) oder evtl. auch die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG. Von entscheidender Bedeutung ist m. E. aber die Berührung des Schutzbereichs des Art. 13 Abs. 1 GG insbesondere bei gemischt genutzten Räumen, welche also sowohl für Wohnzwecke als auch für Zwecke des Unternehmens genutzt werden.

 

Rz. 41

Der Wortlaut des Gesetzes in § 27b Abs. 1 S. 1 UStG lässt zunächst nur das Betreten von Geschäfts- und Betriebsräumen zu, was eigentlich für eine steuerliche Prüfung ausreichend sein müsste. Nichtsdestoweniger geht das Gesetz weiter, ein Betreten von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers ist nach § 27b Abs. 1 S. 2 UStG grundsätzlich möglich, es darf aber nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erfolgen.[3] Derartige Fallkonstellationen dürften m. E. allerdings kaum im Rahmen von steuerlichen Prüfungen – zu denen die Umsatzsteuer-Nachschau gehört – vorstellbar sein[4], ohne dass nicht zugleich wenigstens die Voraussetzungen für die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens vorliegen. Auf einen ersten Blick erscheint es daher so, dass ein Konflikt mit Art. 13 GG nicht bzw. nur in Ausnahmefällen auftreten kann. Darüber hinaus lässt der Gesetzeswortlaut darauf schließen, dass ein Betreten mit Einverständnis des Inhabers immer möglich ist (Rz. 64ff.).

 

Rz. 42

Die Frage der Zulässigkeit des Betretens von Wohnräumen tritt allerdings auch nicht bei solchen Wohnräumen des Unternehmers auf, die dieser und/oder eine dritte Person ausschließlich zu Wohnzwecken nutzen. Hier ist ein Recht zum Betreten im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau praktisch immer ausgeschlossen, soweit nicht ausnahmsweise die genannten Voraussetzungen von § 27b Abs. 1 S. 2 UStG vorliegen sollten oder der Betroffene das Betreten freiwillig[5] zulässt. Kritisch sind vielmehr alle gemischt genutzten Räumlichkeiten zu bewerten, bei denen neben der unternehmerischen Nutzung zugleich eine Nutzung zu Wohnzwecken vorliegt oder vorliegen könnte. Die möglichen Fallkonstellationen sind dabei schwer überschaubar, was sich anhand eines Beispiels leicht veranschaulichen lässt:

 
Praxis-Beispiel

A beginnt im Juli 01 mit dem Handel von Computerbauteilen und Software über das Internet, er meldet sein Gewerbe ordnungsgemäß beim FA und der Gemeinde an; er verzichtet von Beginn an auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung. A hat kein Geschäftslokal und betreibt sein Unternehmen im Wesentlichen von einem Schreibtisch aus, der sich im Wohnzimmer seiner kleinen Zweizimmerwohnung befindet. Sämtliche geschäftlichen Daten befinden sich auf einem Laptop, den A auch für seine persönlichen Kontakte (Facebook) und für private Internettelefonate nutzt. Seine schriftlichen Geschäftsunterlagen bewahrt A in einem Regal in seinem Schlafzimmer auf; die zur Veräußerung vorgesehenen Computerbauteile lagert A in seinem ehemaligen Kinderzimmer im nahegelegenen Einfamilienhaus seiner Eltern. Im Jahr 02 beginnt A auch mit dem innergemeinschaftlichen Handel mit Computerbauteilen und mit dem Export in Drittstaaten; seine Umsätze steigen stetig. Eine Sicherung seiner wichtigen Geschäftsdaten sowie die Daten aus dem Jahr 01 verwahrt A in der Wohnung seiner Freundin auf einem Datenträger. Weder die Eltern des A noch seine Freundin sind unternehmerisch tätig.

 

Rz. 42a

Bereits aus diesem einfachen, aber durchaus praxisrelevanten Beispiel aus dem Bereich der Unternehmensgründung wird deutlich, dass im Fall der Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau...

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