Rz. 7

Kritisch ist zu § 24 UStG bereits anzumerken, dass aus der Mehrwertsteuersystematik selbst heraus eine Sonderregelung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe nicht angezeigt erscheint. Die Erfahrungen in anderen Wirtschaftszweigen zeigen, dass sogar nicht buchführungspflichtige Unternehmer regelmäßig in der Lage sind, die Regelbesteuerung anzuwenden. Lange[1] sieht die Begründung des § 24 UStG, dass Land- und Forstwirte mit Aufzeichnungspflichten i. d. R. überfordert wären, insoweit in ihrer Allgemeinheit als überholt an. § 24 UStG in seiner derzeitigen Fassung erweist sich zudem in Teilbereichen selbst als unsystematisch – z. B. hinsichtlich der Behandlung der im Ausland ansässigen Land- und Forstwirte (Rz. 88ff.) oder der Behandlung innergemeinschaftlicher Lieferungen der im Inland ansässigen Land- und Forstwirte (Rz. 103ff.). Außerdem sind Ausnahmetatbestände stets mit Abgrenzungsfragen verbunden und erschweren auf diese Weise die Anwendung des Steuerrechts. Dafür spricht im Fall des § 24 UStG die Fülle der dazu ergangenen Rechtsprechung der Finanzgerichte wie auch die Vielzahl an erläuternden Literaturbeiträgen – einschließlich dieser Kommentierung. Die Rechtsprechung des EuGH und des BFH zur engen und richtlinienkonformen Auslegung des § 24 UStG (Rz. 41ff.), die dessen Anwendungsbereich gegenüber der früheren Auslegung eingeschränkt hat, hat zusätzlich eine Vielzahl von Abgrenzungsfragen aufgeworfen (Rz. 129ff.).

 

Rz. 8

Weiterhin birgt die beschriebene Systematik des § 24 UStG die Gefahr, dass die Norm über den bloßen Ausgleich der Vorsteuerbelastung der Pauschallandwirte hinaus zulasten des Fiskus und damit der übrigen Steuerzahler als Subvention wirken kann, wenn die Pauschalausgleichs-Prozentsätze zu hoch bemessen sind. Den unternehmerischen Leistungsempfängern der Pauschallandwirte würde in diesem Fall ein zu hoher Vorsteuerabzug vermittelt, während die Landwirte insoweit entsprechend erhöhte Preise am Markt erzielen könnten. Damit könnte der Tatbestand einer unionsrechtswidrigen Beihilfe i. S. d. Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) erfüllt sein. Weiterhin droht eine Unvereinbarkeit des § 24 UStG mit Art. 111 AEUV (Rz. 36). Insofern ist es bereits bemerkenswert, dass sich der Gesetzgeber bei der Einführung des § 24 UStG zum 1.1.1968 darüber im Klaren war, dass die Pauschalierung der Vorsteuern mit damals 5 % bei der Landwirtschaft und 3 % bei der Forstwirtschaft "zzt. noch zu einer gewissen Begünstigung der Land- und Forstwirtschaft führen wird". Es sei aber davon auszugehen, dass mit zunehmender Rationalisierung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe "die tatsächlich anfallenden Vorsteuern nach einiger Zeit die Höhe der Pauschsätze erreichen werden".[2] Im Jahr 1993 hatte die Europäische Kommission bereits für die Jahre 1987 bis 1989 ein – später eingestelltes – Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil der damalige Durchschnittssatz von 5 % für die Forstwirtschaft höher gewesen sei als die Vorsteuerbelastung von 4,2 %.[3] Riegler[4] erwähnt einen EU-Pilot, der zu keinem weiteren Vertragsverletzungsverfahren geführt habe.

 

Rz. 9

Der Bundesrechnungshof hatte bereits in einem Bericht v. 29.9.1995 für das Wirtschaftsjahr 1991/1992 eine tatsächliche Vorsteuerbelastung von 7,25 % gegenüber der damaligen Pauschale nach § 24 Abs. 1 UStG von 8 % ermittelt und darauf hingewiesen, dass die Vorsteuerbelastung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe deutlich höher sei als die größerer landwirtschaftlicher Unternehmer. Außerdem hatte der Bundesrechnungshof angeregt, die buchführungspflichtigen Betriebe von der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG auszunehmen.[5] Im Jahr 2015 hatte der Bundesrechnungshof dann ermittelt, dass die tatsächliche Vorsteuerbelastung der Pauschallandwirte nicht 10,7 %, sondern lediglich 9,3 % betrage, sodass die Pauschallandwirte ihren Abnehmern jährlich über 200 Mio. EUR zu viel USt berechneten.[6] Sodann hatte die Europäische Kommission im Jahr 2018 auch mit Blick auf die praktische Nichtanwendbarkeit des § 24 Abs. 2 S. 3 UStG (Rz. 90ff.) das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2017/4121 gegen Deutschland eingeleitet[7], das dann in der Vertragsverletzungsklage C-57/20, Kommission/Deutschland, gemündet war. Deutschland habe durch die unbeschränkte Anwendung des § 24 UStG auf alle landwirtschaftlichen Erzeuger (Rz. 32ff.) und durch den zu hohen Ausgleichssatz von 10,7 % (Rz. 35) gegen die MwStSystRL verstoßen. Offenbar auch vor dem Hintergrund der Beschwerden französischer Schweinehalter (Rz. 245) hatte die Kommission außerdem wegen der Höhe des Ausgleichssatzes ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland eingeleitet.[8] Das Beihilfeverfahren erscheint noch schwerwiegender als das Vertragsverletzungsverfahren, weil im Fall einer sog. Negativentscheidung die Beihilfe zzgl. Zinsen von den Landwirten zurückzufordern wäre. Vor diesem Hintergrund ist durch das Jahressteuergesetz 2020 in § 24 Abs. 1 S. 1 UStG ab dem Jahr 2022 eine Umsatzg...

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