Rz. 76

Das Fehlen oder die Mangelhaftigkeit von Aufzeichnungen nach § 22 UStG führt i. d. R. nicht unmittelbar zur Versagung steuerlicher Ermäßigungen oder Vergünstigungen. Allerdings gibt es Ausnahmen. So sind z. B. die in § 22 Abs. 4f UStG zu führenden Aufzeichnungen materiell-rechtliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme der "Konsignationslagerregelung" gem. § 6b UStG; Rz. 235a,[1] nicht jedoch die Aufzeichnungspflichten des § 22 Abs. 4g UStG, die ebenfalls das Konsignationslager betreffen (Rz. 235b). Zur Berechtigung zum Vorsteuerabzug bei fehlenden Aufzeichnungen siehe Rz. 84. – Die Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG sind damit überwiegend formeller Natur. Der Unternehmer handelt aber leichtfertig, wenn es sich ihm aufdrängen muss, dass er die Voraussetzungen des § 6a UStG weder beleg- oder buchmäßig noch objektiv nachweisen kann.[2]

 

Rz. 76a

Materiell-rechtliche Bedeutung kommt nicht einmal mehr denBuchnachweispflichten zu.[3] Im Umsatzsteuerrecht bestehen solche z. B. für Ausfuhrlieferungen in § 6 Abs. 4 UStG, für innergemeinschaftliche Lieferungen in § 6a Abs. 3 UStG, für Lohnveredelungen in § 7 Abs. 4 UStG und für Umsätze für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt in § 8 Abs. 3 UStG.

 

Rz. 77

Unternehmer, die ihrer Pflicht zur Aufzeichnung nach § 22 UStG nicht oder nicht ordnungsmäßig nachkommen, können vom FA (zunächst) durch Zwangsmittel angehalten werden, diese Pflicht zu erfüllen. Nach §§ 328, 329 AO kann gegen sie nach vorheriger Androhung und Fristsetzung im Einzelfall ein Zwangsgeld bis zu 25.000 EUR festgesetzt werden, das im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzzwangshaft umgewandelt werden kann. – In vielen Fällen wird die Festsetzung eines Zwangsgelds ein untaugliches und daher aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit bedenkliches Mittel zur Erreichung des angestrebten Erfolgs – der Führung der Aufzeichnungen – sein. Denn die nachträgliche Erstellung der Aufzeichnungen bringt alle Unsicherheiten mit sich, die durch das Erfordernis der zeitnahen Verbuchung (Rz. 58) vermieden werden sollen. Die nachträglichen Aufzeichnungen werden daher nur in Ausnahmefällen mangelfrei sein. Zwangsmittel scheinen deshalb nur angemessen, soweit die Führung der Aufzeichnungen für den laufenden und künftige Besteuerungszeiträume erreicht werden soll.

 

Rz. 78

Bei fehlenden oder mangelhaften Aufzeichnungen macht das FA regelmäßig vom Recht der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO Gebrauch.[4] Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass auch bei der Umsatzsteuer im Falle von Verstößen des Steuerpflichtigen gegen die Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und bei sonstigen Buchführungsmängeln das FA zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen befugt sein kann. Diese Schätzungsbefugnis steht in Einklang mit dem Unionsrecht.[5] Durch die Schätzung sollen die Besteuerungsgrundlagen so festgestellt werden, dass das Ergebnis die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat.[6] Bei der Schätzung des Umsatzes haben das FA und im Fall eines Rechtsstreits das ebenfalls zur Schätzung berechtigte Finanzgericht von dem Sachverhalt auszugehen, der der Wirklichkeit am nächsten kommt.[7]

 

Rz. 79

Die Schätzung wegen fehlender Aufzeichnungen muss den Gegebenheiten des einzelnen Betriebs Rechnung tragen. Dabei können von der Finanzverwaltung für bestimmte Branchen ermittelte Richtsätze verwendet werden, "denn es ist allein Sache der Tatsacheninstanz, welcher Schätzungsmethode sie sich bei Beachtung der Umstände des Einzelfalls bedienen will, wenn diese geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen".[8] Unsicherheiten, die sich naturgemäß bei jeder Schätzung ergeben, gehen zulasten des Unternehmers. Eine Verpflichtung, im Zweifel zugunsten des Steuerpflichtigen zu schätzen, besteht nicht. Die Unschärfe, die jeder Schätzung anhafte, könne im Allgemeinen vernachlässigt werden. Soweit sie sich zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, müsse er sie hinnehmen, zumal wenn er den Anlass für die Schätzung gegeben hat.[9]

 

Rz. 80

Hat ein Unternehmer mehrere Betriebe, so ist der Umsatz für jeden Betrieb gesondert zu schätzen. Wenn die Aufzeichnungspflichten nur für einen von mehreren Betrieben vernachlässigt worden sind, kann der Umsatz des ganzen Unternehmens geschätzt werden.[10]

 

Rz. 81

Will ein FA den Umsatz eines Unternehmers schätzen, weil sein buchmäßig ausgewiesener Rohaufschlag erheblich von dem Rohgewinnaufschlagsatz laut Richtsatzsammlung abweicht, müssen zunächst die Gründe für dieses Abweichen aufgeklärt werden.[11] Dazu müssen die Grundlagen, auf denen die Erfahrungssätze aufgebaut sind, festgestellt werden und diese mit den aus den Büchern des Unternehmens sich ergebenden Grundlagen der Betriebsergebnisse verglichen werden (z. B. im Rahmen einer Nachkalkulation). Erst wenn sich trotz Würdigung der Eigenarten des Geschäftszweigs und aller Besonderheiten des Betriebs Gründe für das Abweichen von den Erfahrungssätzen nicht finden lassen, ist die Beweiskraft der Aufzeichnungen des U...

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