Rz. 106

Der Begriff des Gesamtumsatzes spielt eine Rolle gem. § 19 Abs. 1 S. 2 UStG bei der Berechnung der genannten Grenzen von 22.000 EUR und 50.000 EUR (Rz. 47ff.). Der Gesamtumsatz ist gem. § 19 Abs. 3 S. 1 UStG die Summe der steuerbaren Umsätze i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG abzüglich der gem. § 4 Nr. 8 Buchst. i, Nr. 9 Buchst. b und Nr. 11 bis 29 UStG (s. Rz. 3) steuerfreien Umsätze und abzügl. der nach § 4 Nr. 8 Buchst. a bis h, Nr. 9 Buchst. a und Nr. 10 UStG steuerfreien Umsätze, wenn diese Umsätze Hilfsumsätze sind. Die in § 2b Abs. 3 UStG geltende Umsatzgrenze von gleichfalls 17.500 EUR für j.P.ö.R. bei der Negation des Wettbewerbs ist mit der Grenze des § 19 Abs. 1 UStG nicht identisch.

 

Rz. 106a

Nicht zum Gesamtumsatz zählen danach insbesondere auch die gem. § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Grundstücksvermietungsumsätze. Nachdem der EuGH im Urteil v. 9.7.2020 entschieden hat, dass die Vermietungsumsätze, die ein Unternehmer im Rahmen seiner gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeit erbringt, nicht als Nebenumsatz i. S. v. Art. 288 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL – das ist die unionsrechtliche Grundlage für § 19 Abs. 3 UStG – zu qualifizieren ist[1], kann die deutsche Rechtspraxis nicht fortgesetzt werden. Der Begriff des Nebenumsatzes i. S. d. in § 19 Abs. 3 Nr. 2 UStG erwähnten "Hilfsgeschäfts" sollte auch in § 19 Abs. 3 Nr. 1 UStG zumindest für die Umsätze gem. § 4 Nr. 12 UStG aufgenommen werden. Durch eine bloße Verwaltungsanweisung mit dem Hinweis auf das EuGH-Urteil kann angesichts des einschränkungslosen Wortlauts des § 19 Abs. 3 Nr. 1 UStG eine unionsrechtskonforme Anwendungspraxis der Norm nicht gewährleistet werden.

 

Rz. 107

Die steuerbaren Umsätze i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG betreffen die entgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen sowie die diesen Umsätzen gleichgestellten unentgeltlichen Wertabgaben gem. § 3 Abs. 1b und Nr. 9 a UStG. Umsätze im Rahmen einer gem. § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung zählen nicht zu den erwähnten Umsätzen. Die Steuerbarkeit hinsichtlich des Orts, an dem der Umsatz bewirkt wird, ist ggf. nach § 1 Abs. 3 UStG, § 3 Abs. 6 bis 8 UStG, § 3a, § 3b, § 3c, § 3e, § 3f UStG zu bestimmen. Näheres dazu s. bei den Erläuterungen zu diesen Vorschriften!

 

Rz. 108

Seit dem 1.1.1997 ist § 19 Abs. 3 S. 1 UStG im Hinblick auf die gem. § 25b Abs. 2 UStG beim innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft auf den letzten Abnehmer übergehende Steuerschuld so formuliert, dass Gesamtumsatz die Summe der vom Unternehmer ausgeführten steuerbaren Umsätze ist, d. h., Umsätze, für die er die Steuer nur gem. § 25b Abs. 2 UStG schuldet, zählen also sinnvollerweise nicht zum Gesamtumsatz i. S. v. § 19 Abs. 3 UStG.

 

Rz. 109

Dies gilt auch für die Umsätze ausländischer Unternehmer, für die die Steuerschuld gem. § 13b UStG auf einen unter § 19 Abs. 1 UStG fallenden inländischen Unternehmer übergeht, denn trotz dieses Übergangs der Steuerschuld bleiben die zugrunde liegenden Umsätze weiterhin allein solche des ausländischen Unternehmers, und damit ist der Gesamtumsatz des inländischen Kleinunternehmers nicht berührt – trotz der für ihn entstehenden Zahlungsverpflichtung mangels Vorsteuerabzugsberechtigung.

 

Rz. 110

Die steuerbaren Umsätze sind mit den Bemessungsgrundlagen des § 10 UStG, also ggf. auch mit der sog. Mindestbemessungsgrundlage gem. § 10 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 UStG anzusetzen.

 

Rz. 111

Von Anfang an war offenkundig, dass der Ansatz der Bemessungsgrundlagen gem. § 25 Abs. 3 UStG bei Reiseleistungen, also der Differenz zwischen dem vom Leistungsempfänger entrichteten Betrag und den Reisevorleistungen, welche der Reiseunternehmer in Anspruch genommen hat (Marge) und gem. § 25a Abs. 3 und 4 UStG bei Gebrauchtwarenumsätzen bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes gem. § 19 Abs. 3 UStG nicht sachgerecht ist. Die betroffenen Unternehmer wurden dadurch erheblich begünstigt im Verhältnis zu den vielen anderen Unternehmern, die ihre Vorumsätze nicht abziehen können; denn die Margen- oder Differenzbesteuerung ist in ihrer praktischen Wirkung ein Mehrwertsteuersystem mit Vorumsatzabzug. Das ergibt andere Bemessungsgrundlagen als bei § 10 UStG, sodass die Grenzen des § 19 UStG mit der Berechnung der Umsätze nach den Entgelten i. S. v. § 10 UStG weit schneller erreicht werden als bei der Berechnung nach der Marge i. S. v. § 25 Abs. 3 UStG oder der Differenz gem. § 25a Abs. 3 und 4 UStG. Erst durch das BMF v. 16.6.2009[2], das in Abschn. 19.3 Abs. 1 UStAE einging, hat die Verwaltung diese Problematik aufgegriffen und mit Wirkung ab dem 1.1.2010 angeordnet, dass beim Gesamtumsatz i. S. v. § 19 Abs. 3 UStG auf die vereinnahmten Entgelte und nicht auf die Marge gem. § 25 Abs. 3 UStG oder den Differenzbetrag gem. § 25a Abs. 3 UStG abzustellen ist. Der EuGH hat im Urteil vom 29.7.2019[3] auf das Vorabentscheidungsersuchen des BFH vom 7.2.2018 im vorstehenden Sinn geantwortet. Die deutsche Praxis ab dem Jahr 2010 ist damit unionsrechtlich abgesichert.

 

Rz. 112

Von der Summe der steuerbaren Umsätze sind ...

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