Rz. 56

Ursprünglich war der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass es sich bei der Abgabe von Speisen und Getränken in Restaurants und Gaststätten um Lieferungen (Essenslieferungen) handele. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG i. d. F. bis zum 26.6.1998 waren dementsprechend die "Lieferungen von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle" von der Steuerermäßigung der in der Anlage 2 des UStG bezeichneten Gegenstände ausgeschlossen. Die steuerpflichtige Lieferung von Speisen und Getränken, wenn sie zum Verzehr an Ort und Stelle bestimmt waren, unterlag daher dem allgemeinen Steuersatz. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 UStG i. d. F. bis zum 26.6.1998 war von der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle auszugehen, wenn sie nach den Umständen der Lieferung dazu bestimmt waren, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Ort der Lieferung in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.

Nach der EuGH-Rechtsprechung handelt es sich jedoch bei der Abgabe von Speisen und Getränken in Restaurants und Gaststätten um sonstige Leistungen (Restaurationsleistungen).[1] Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 und 3 UStG i. d. F. bis zum 26.6.1998 wurde wegen der erforderlichen Neudefinition der Restaurationsleistungen als sonstige Leistungen gestrichen. Stattdessen wurde die Ausnahme der Restaurationsumsätze von der Steuerermäßigung in § 3 Abs. 9 S. 4 und 5 UStG untergebracht. Hieraus ergab sich hinsichtlich der Steuerermäßigung keine materiell-rechtliche Änderung. Die als sonstige Leistungen zu wertenden Restaurationsumsätze (Bewirtungsumsätze in Gaststätten, Restaurants, Hotels und sonstigen Einrichtungen) wurden von Lieferungen von Nahrungsmitteln nach den gleichen Kriterien abgegrenzt, die bis zum 26.6.1998 für die Abgrenzung der begünstigten von den nicht begünstigten Verzehrlieferungen angewendet wurden.

 

Rz. 57

Nach den bis zum 28.12.2007 geltenden Regelungen in § 3 Abs. 9 S. 4 und 5 UStG war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung, die dem allgemeinen Umsatzsteuersatz unterlag. Nach Auffassung des BFH[2] war § 3 Abs. 9 S. 4 UStG a. F. nicht in vollem Umfang gemeinschaftsrechtskonform, weil nicht ausgeschlossen war, dass Lieferungen zu Unrecht in sonstige Leistungen umqualifiziert wurden. § 3 Abs. 9 S. 4 und 5 UStG a. F. wurden durch Art. 8 Nr. 3 des Jahresteuergesetzes 2008[3] mWv 29.12.2007 aufgehoben. Die Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Gastronomie ist seitdem anhand allgemeiner Grundsätze vorzunehmen: Überwiegen die Lieferelemente qualitativ, handelt es sich insgesamt um eine – dem ermäßigten Steuersatz unterliegende – Lieferung. Bei einem qualitativen Überwiegen der Elemente einer sonstigen Leistung ist hingegen insgesamt eine – dem allgemeinen Steuersatz unterliegende – sonstige Leistung anzunehmen. Der wirtschaftliche Gehalt der Leistung ist dabei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Dabei sind jedoch nur solche Dienstleistungselemente zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden sind. Die Verwaltung hat die Abgrenzungsgrundsätze in den BMF v. 16.10.2008[4] und v. 29.3.2010[5] zusammengefasst.

In der Literatur war das BMF v. 16.10.2008 zur Abgrenzung von ermäßigt zu besteuernden Lieferungen und voll zu besteuernden sonstigen Leistungen kritisiert worden.[6] Auch der BFH hatte Zweifel, ob die bisherigen nationalen Regelungen dem Unionsrecht entsprachen. Er hatte deshalb mehrere anhängige Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vier entsprechende Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt.[7]

Der EuGH hat die vier Vorlagen des BFH verbunden und in einem Urteil entschieden.[8] Danach handelt es sich beim Verkauf von Nahrungsmitteln an Imbisswagen und Imbissständen oder in Kinos zum sofortigen (warmen) Verzehr um (begünstigte) Lieferungen, denen eine einfache, standardisierte Zubereitung vorausgeht (Standardspeisen). Hinsichtlich der Leistungen eines Partyservice kommt der EuGH zum Ergebnis, dass sie nicht das Ergebnis einer bloßen Standardzubereitung sind, sondern (nicht begünstigte) Dienstleistungen. Sie wiesen im Vergleich zu den Standardzubereitungen einen deutlich höheren Dienstleistungsanteil auf, da sie mehr Arbeit und Sachverstand erforderten.

In seiner Nachfolgerechtsprechung stellt der BFH[9] weitere Grundsätze für die Abgrenzung begünstigter Nahrungsmittellieferungen von nicht begünstigten sonstigen Leistungen auf.[10]

 

Rz. 58

Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates v. 15.3.2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStVO –[11] enthält Auslegungsgrundsätze zur MwStSystRL. Sie ist am 1.7.2011 in neuer Fassung in Kraft getreten. Die MwStVO ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem EU-Mitgliedstaat.[12] Der für die Abgrenzung von Lieferungen und sonstig...

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