Rz. 520

Die Regelung des § 10 Abs. 5 UStG über die Mindestbemessungsgrundlage zielt wie die Regelungen über die Steuerbarkeit der als entgeltlich geltenden Lieferungen und sonstigen Leistungen gem. § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG und über den innergemeinschaftlichen Erwerb mittels Verbringen von Gegenständen aus einem Mitgliedstaat in das Inland bzw. umgekehrt (§ 1a Abs. 2 sowie § 3 Abs. 1a UStG) auf eine möglichst vollständige und gleichmäßige Belastung jedes Endverbrauchs mit USt ab. Im Gegensatz zu den unentgeltlichen Wertabgaben ist in den Fällen der Mindestbemessungsgrundlage stets ein Entgelt vorhanden, das allerdings regelmäßig nicht nach marktüblichen Gesichtspunkten zustande gekommen ist und somit die Gefahr besteht, dass die so gefundene Bemessungsgrundlage zu niedrig ist. Wegen des Vorhandenseins eines Entgelts brauchte und konnte hier nicht erst die Existenz eines steuerbaren Umsatzes angeordnet werden. Es reichte vielmehr eine Regelung zur Bemessungsgrundlage aus, die die teilweise Nichtbelastung mit USt durch ein zu niedriges Entgelt verhindert. Für eine solche Regelung ergaben und ergeben sich allerdings aus dem Unionsrecht erhebliche Einschränkungen.

 

Rz. 521

Eine von dem vorhandenen Entgelt abweichende Besteuerung sah allerdings früher die 6. EG-Richtlinie nicht vor. Nach Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie konnte der Rat auf Vorschlag der Kommission allerdings einen Mitgliedstaat ermächtigen, von der Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, "um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten". Die Regelung über die Mindestbemessungsgrundlage beruht "offenbar" bei seiner nationalen Einführung auf einer solchen Ermächtigung[1], die als erteilt gilt, wenn die Kommission nicht innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Information an die anderen Mitgliedsländer über den Antrag des Mitgliedstaats die Angelegenheit im Rat erörtert. Da § 10 Abs. 5 UStG auf Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie basierte, konnte sie sich auch nur im Anwendungsbereich dieser Vorschrift bewegen.[2] Mit Inkrafttreten der MwStSystRL ist eine allgemeine Möglichkeit über Art. 80 MwStSystRL geschaffen worden, ohne eine individuelle Genehmigung der Kommission zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung Maßnahmen im Bereich der Bemessungsgrundlage zu schaffen, wenn ein Naheverhältnis zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger vorliegt. Deshalb ist durch Inkrafttreten von Art. 80 MwStSystRL nicht mehr davon auszugehen, dass § 10 Abs. 5 UStG als eine von der Richtlinie abweichende Sondermaßnahme anzusehen ist.[3] Damit kommt nach Auffassung des BFH die aus der Abweichung von der (damaligen) 6. EG-Richtlinie abgeleitete enge Auslegung des § 10 Abs. 5 UStG nicht mehr in Betracht. Weiter hat der BFH festgestellt, dass es unter der Geltung von Art. 80 MwStSystRL nicht in Betracht kommt, aus der früheren Abweichungsermächtigung strengere unionsrechtliche Anforderungen abzuleiten, als sie sich aus dieser Bestimmung selbst ergeben. Denn in Bezug auf die an das nationale Recht zu stellenden Anforderungen des Unionsrechts besteht ein normativer Vorrang des Art. 80 MwStSystRL gegenüber einer früheren Abweichungsermächtigung, zumal es dieser unter der Geltung von Art. 80 MwStSystRL zur Erreichung des Ziels, unangemessenen Entgeltgestaltungen entgegenzutreten, nicht mehr bedarf. Allerdings ist zu beachten, dass auch Art. 80 MwStSystRL eine zielgerichtete Maßnahme zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung ist.

Deswegen setzt die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 UStG weiterhin grundsätzlich die Gefahr von Steuerhinterziehungen oder –umgehungen voraus.[4] Dass die Vorschrift als abweichende nationale Maßnahme zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen eng auszulegen und nur angewandt werden darf, soweit dies hierfür unbedingt erforderlich ist[5], ist aber unter der Geltung des Art. 80 MwStSystRL vom BFH aufgegeben worden.[6]

Die unionsrechtlichen Grenzen der Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage sind deshalb in aktuellen Fällen unmittelbar aus der grundsätzlichen (allgemeinen) Ermächtigung des Art. 80 MwStSystRL abzuleiten. Art. 80 MwStSystRL definiert dabei die nahestehenden Personen entsprechend den auch in § 10 Abs. 5 UStG vorhandenen Grundlagen. Als Rechtsfolge der Anwendung der Regelung soll der "Normalwert" als Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Voraussetzung ist, dass die Gegenleistung niedriger als dieser Normalwert ist und der Leistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.[7] Dies kann alternativ auch infrage kommen, wenn die Leistung zu steuerfreien Umsätzen führt.[8] Inwieweit in anderen Fällen an einer bisherigen engen Auslegung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 5 UStG festgehalten werden kann oder festgehalten werden soll, hat der BFH[9] ausdrücklich noch offen gelassen. Allerdings muss sich diese Auslegung an den Vorgaben des Art. 80 MwStSystRL orientieren und deshalb dem...

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