Rz. 32

Die Regelung des § 72 Abs. 1a FGO erlaubt ausnahmsweise eine inhaltlich beschränkte Rücknahme der Klage, soweit Besteuerungsgrundlagen für ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren nach einem DBA oder nach anderen zwischenstaatlichen Verträgen i. S. d. § 2 AO bedeutsam sein können. Die Vorschrift ist auf die Besonderheiten bei der Einleitung und Durchführung von Verständigungs- und Schiedsverfahren nach DBA bzw. anderer zwischenstaatlichen Verträge zugeschnitten, denn diese Verfahren konnten bisher regelmäßig erst nach Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts durchgeführt werden.[1] Wenn jetzt allerdings wegen anderer Streitpunkte gegen den Steuerbescheid eine Klage erhoben wurde, müsste ohne die Regelung des § 72 Abs. 1a FGO bzw. der Parallelvorschrift des § 362 Abs. 1a AO die Einleitung der vorgenannten Verfahren bis zum Abschluss des Einspruchs- und der sich daran anschließenden finanzgerichtlichen Klage- und Rechtsmittelverfahren und deren teilweise langen Bearbeitungszeiten hinausgeschoben werden.[2] Dies wird durch die in § 72 Abs. 1a FGO eröffnete Möglichkeit der teilweisen Klagerücknahme vermieden.[3] Allerdings kann nach Art. 25 OECD-MA ein Verständigungsverfahren auch unbeschadet der nach dem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsmittel durchgeführt werden.

 

Rz. 33

Die "Teilrücknahme" nach § 72 Abs. 1a S. 1 FGO ist nur hinsichtlich solcher unselbständigen Besteuerungsgrundlagen zulässig, die für ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren i. S. d. § 2 AO von Bedeutung sein können. Erforderlich ist daher gem. § 72 Abs. 1a S. 2 i. V. m. § 50 Abs. 1a S. 2 FGO die genaue Bezeichnung der Besteuerungsgrundlage, auf die sich die teilweise Klagerücknahme erstreckt. Hinsichtlich dieser Besteuerungsgrundlagen erwächst der angefochtene Steuerbescheid mit der Rücknahmeerklärung in Teilbestandskraft. Ist eine zweifelsfreie Bestimmung der Besteuerungsgrundlage nicht erfolgt und kann sie auch nicht durch Auslegung ermittelt, ist die Rücknahmeerklärung unwirksam.[4]

 

Rz. 34

Nach der "Teilrücknahme" können nur noch Einwendungen gegen solche Besteuerungsgrundlagen erhoben werden, die von den in der Teilrücknahmeerklärung bezeichneten Besteuerungsgrundlagen nicht berührt werden. Das dürfte nach Auffassung von Brandis[5] in Einzelfällen einen Streit über den Umfang der bestandskräftigen Besteuerungsgrundlagen provozieren, weil die Regelung des § 72 Abs. 1a FGO wegen der Ausgrenzung bestimmter unselbstständiger Besteuerungsgrundlagen nicht in das bestehende System von Streitgegenstand/Rechtskraft hineinpasse. Werden allerdings Einwendungen hinsichtlich solcher Besteuerungsgrundlagen erhoben, die für das vom Kläger zuvor bezeichnete Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren von Bedeutung sind, dürfte dies im Auslegungswege ggf. als Geltendmachung der Unwirksamkeit der Rücknahme i. S. d. § 72 Abs. 2 S. 3 FGO zu beurteilen sein (vgl. dazu Rz. 59ff.).

Rz. 35–37 einstweilen frei

[1] Vgl. BT-Drs. 12/5630, 105-106.
[2] Vgl. BT-Drs. 12/5630, 105-106.
[3] Vgl. zur Parallelvorschrift für das Einspruchsverfahren auch Keß, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 362 AO Rz. 25-28.
[4] Ebenso Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 181; Gräber/Herbert, FGO, 9. Aufl. 2019, Rz. 14; kritisch Helmschrott/Eberhart, DStR 1994, 525.
[5] In Tipke/Kruse, AO/FGO, § 72 FGO Rz. 9.

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