1 Erledigung in der Hauptsache

1.1 Grundlagen

 

Rz. 1

Nicht immer führt das gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren zu einer streitigen Entscheidung der Hauptsache durch Urteil oder Beschluss; denn in seinem Verlauf können außerprozessuale Ereignisse eintreten, die das Klagebegehren ganz oder teilweise gegenstandslos werden lassen, etwa wenn die beklagte Finanzbehörde einen geänderten Bescheid erlässt, der dem Antrag des Klägers entspricht und somit seiner Klage die Grundlage entzieht, sodass sie unbegründet, im Einzelfall auch unzulässig wird. Ohne die Regelung des § 138 FGO hätte dies in jedem Fall die Belastung des Klägers mit den Verfahrenskosten zur Folge; denn dieser müsste entweder die Klage kostenpflichtig nach § 136 Abs. 2 FGO zurücknehmen oder er erhielte ein klageabweisendes Urteil. Dies hätte nach § 135 Abs. 1 FGO ebenfalls seine Kostenpflicht zur Folge. Entsprechendes gilt für andere Verfahren nach der FGO (Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, Revision, Beschwerde).

Eine derartige Kostenfolge wäre zumindest in all jenen Fällen unbillig, in denen der Kläger ohne das erledigende Ereignis ganz oder teilweise obsiegt hätte. § 138 FGO sieht daher vor, dass in Fällen der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache das Gericht nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands durch Beschluss über die Kosten entscheidet.

1.2 Begriff

1.2.1 Allgemeines

 

Rz. 2

Eine Legaldefinition des Begriffs der Erledigung der Hauptsache fehlt. Rspr. und Lit. treffen keine einheitliche Begriffsbestimmung. Insgesamt kann jedoch gesagt werden, dass ein Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, wenn ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis das im Klageantrag zum Ausdruck kommende Klagebegehren gegenstandslos gemacht hat und der Kläger insoweit klaglos gestellt ist.[1] Es ist danach nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Eine teilweise Erledigung ist möglich. In diesem Fall ist eine einheitliche Kostenentscheidung zu treffen.[2]

Die Erledigung kann auch in der Rechtsmittelinstanz eintreten.[3]

§ 138 FGO enthält in seinen nunmehr drei Absätzen zwei Alternativen:

  • Abs. 1 regelt den Grundfall des eingetretenen erledigenden Ereignisses und legt dem Gericht eine Entscheidung über die Kosten nach billigem Ermessen auf.
  • Nach Abs. 2 trifft die Finanzbehörde stets die Kostenpflicht,

    • wenn dem Antrag des Stpfl. durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wurde,
    • im Fall der Untätigkeitsklage gem. § 46 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 FGO.[4]

Der ursprüngliche § 138 Abs. 2 S. 2 FGO ist durch das FGO-ÄndG zum 21.12.1992 gestrichen worden.[5] Stattdessen ist § 137 FGO entsprechend anwendbar, sodass der Kläger die Kosten zu tragen hat, wenn zwar seinem Antrag entsprochen wird, er aber die Tatsachen, die zur Erledigung geführt haben, schon früher hätte geltend machen oder beweisen können. Ebenso trifft die Behörde die Kostenpflicht, wenn sie einen Hinweis auf einen an sich gebotenen Nachweis (z. B.Vorlage eines Schwerbehindertenausweises) unterlassen hat und der nicht rechtskundige Kläger diesen erstmals im Klageverfahren erbringt.[6] § 138 Abs. 2 FGO ist entsprechend anzuwenden, wenn die Finanzbehörde im Klageverfahren die Einspruchsentscheidung zurücknimmt, ohne über den Einspruch zu entscheiden, z. B. wenn sie einen nicht heilbaren Fehler in der Einspruchsentscheidung bemerkt. Hier liegt allerdings keine Erledigung der Hauptsache i. e. S. vor, sondern nur eine Erledigung des Klageverfahrens.[7]

[1] BFH v. 23.2.1968, VI R 35/67, BStBl II 1968, 352; BFH v. 21.6.1972, VII B 153/70, BStBl II 1972, 707; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 138 FGO Rz. 3; Ruban, in Gräber, FGO, 8. Aufl. 2015, § 138 FGO Rz. 2.
[4] S. Rz. 26.
[5] S. Rz. 27.
[7] BFH v. 22.1.1968, IV B 43/68, BStBl II 1969, 113; vgl. Ruban, in Gräber, FGO, 8. Aufl. 2015, § 138 FGO Rz. 3.

1.2.2 Materielle bzw. formelle Erledigung

 

Rz. 3

Zu unterscheiden sind die materielle und die formelle Erledigung der Hauptsache. Materiell erledigt sich die Hauptsache dadurch, dass der Streitgegenstand – durch welche Umstände auch immer – wegfällt, sodass eine Entscheidung in der Sache nicht mehr getroffen zu werden braucht und auch nicht mehr getroffen werden kann.

Formell erledigt sich die Hauptsache durch übereinstimmende Erklärung der Beteiligten, dass in der Hauptsache keine Sachentscheidung mehr zu treffen ist. Hierbei braucht tatsächlich zuvor keine materielle Erledigung der Hauptsache eingetreten zu sein.[1] So einigen sich die Beteiligten häufig im Erörterungstermin oder in der mündlichen Verhandlung über eine Beilegung des Rechtsstreits zur Vermeidung eines Prozessrisikos oder zur Generalbereinigung aller zwischen ihnen bestehenden Streitpunkte. Dies entspricht dann i. d. R. einem gerichtlichen Vergleich, wie er im Zivilprozess üblich, im Steuerrecht dagegen nicht zulässig ist.

§ 138 regelt ausschließlich die Kostenfolgen aus der formellen Erledigung der Hauptsache.[2] Ist dage...

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