Rz. 17

Die Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs bedeutet insbesondere,

  • dass das FG gem. § 96 Abs. 2 FGO seiner Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweismittel zugrunde legen darf, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten[1]; der Beteiligte muss Gelegenheit haben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismitteln zu äußern.
  • dass das FG – über den Wortlaut des § 96 Abs. 2 FGO hinaus – rechtliches Gehör auch zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen zu gewähren hat[2]; der Beteiligte muss seine für wesentlich gehaltene Rechtsansicht vortragen dürfen.[3]
  • dass die Beteiligten vor dem Erlass einer Entscheidung ein Recht darauf haben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen[4], d. h. ihr Anliegen vorzutragen, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen, die sie für wesentlich halten.[5]
  • dass das FG die Beteiligten über die Sach- und Rechtslage insoweit informieren muss, dass sie ihr Verhalten im Prozess sach- und interessengerecht gestalten können, z. B. durch Gewährung von Akteneinsicht.[6]
  • dass das FG rechtserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht.[7]
  • dass das FG seine Entscheidung mit einer Begründung versieht, die erkennbar macht, dass es sich mit dem wesentlichen Vorbringen der Beteiligten auseinandergesetzt hat.[8]
 

Rz. 18

Allein der objektive Verstoß hiergegen reicht aus; auf ein Verschulden des Gerichts kommt es nicht an.[9] Wegen der Auswirkung auf die Entscheidungsfindung des FG kann sich die Verpflichtung stets nur auf substanziiertes oder – nach der Rechtsauffassung des FG – entscheidungserhebliches Vorbringen beziehen.

Das rechtliche Gehör ist grds. verletzt, wenn dem Kläger die Möglichkeit zum Tatsachenvortrag abgeschnitten wird.[10] Davon ist z. B. auszugehen, wenn das FG über eine Einspruchsentscheidung befindet, die dem Kläger nicht bekannt gegeben wurde und zu der er sich dementsprechend gar nicht äußern konnte[11], oder wenn das FG Akten eines anderen Verfahrens beizieht, ohne die Beteiligten davon zu unterrichten, sodass sie keine Möglichkeit zur Stellungnahme haben.[12] Ebenso liegt Gehörsverletzung vor, wenn das Gericht eine Entscheidung trifft, ohne die von ihm dem Beteiligten gesetzte Frist zur Stellungnahme abzuwarten[13], oder wenn das FG verhandelt, obwohl der Kläger seine Verhinderung, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, glaubhaft gemacht hat[14] bzw. einen mit erheblichen Gründen versehenen Antrag auf Terminsverlegung gestellt hat.[15]

Da das FG auch verpflichtet ist, einen Schriftsatz noch zu berücksichtigen, der zwar nach der Beschlussfassung über das Urteil, aber vor dessen Verkündung oder Zustellung eingeht[16], und somit seinen Beschluss über das Urteil noch ändern kann, ist es nicht gehindert, bereits vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme über das Urteil zu beschließen, da es, wenn ein Schriftsatz eingeht, erneut beraten und beschließen muss.[17] Die Gehörsverletzung ist in diesem Fall nicht kausal für die Entscheidung des FG. Deshalb ist es auch unschädlich, wenn das FG – was nicht selten vorkommt – schon vor der mündlichen Verhandlung den Urteilsentwurf vollständig ausformuliert hat.[18]

Geht nach einem in der mündlichen Verhandlung beschlossenen, aber noch nicht verkündeten oder zugestellten, also noch nicht wirksamen, Urteil ein Schriftsatz ein, muss das FG die Frage der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung prüfen und seine hierüber getroffene Ermessensentscheidung in einem gesonderten Beschluss oder als Teil des Urteils zum Ausdruck bringen. Ergibt sich danach, dass das FG den nachgereichten Schriftsatz in seinem Urteil nicht berücksichtigt hat, liegt Versagung des rechtlichen Gehörs vor. Auf die Gründe für die Nichtberücksichtigung kommt es nicht an.[19]

 

Rz. 19

Da nur aus der Begründung einer Entscheidung ersichtlich ist, ob das FG den Vortrag des Beteiligten beachtet hat, entspricht der Pflicht des FG, das Parteivorbringen zu würdigen, die Pflicht, seine Entscheidung in der Weise zu begründen, dass erkennbar wird, ob es dem Gebot nachgekommen ist. Anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass es den Vortrag entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Allein diese Möglichkeit rechtfertigt den Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.[20] Grundsätzlich ist freilich davon auszugehen, dass das FG seiner Verpflichtung nachgekommen ist.[21] Eine Gehörsverletzung durch Verletzung der sog. Beachtungspflicht ist daher erst dann gegeben, wenn aus der Begründung klar ersichtlich ist, dass das FG das Vorbringen zu entscheidungserheblichen Fragen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.[22] Eine Gehörsverletzung liegt vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder z. T. fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rech...

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