Rz. 20

Der BFH kann auch prüfen, ob bei der Würdigung der festgestellten Tatsachen allgemeine Erfahrungssätze beachtet worden sind.[1] Es handelt sich dabei um eine Frage des materiellen Rechts, nicht des Verfahrensrechts.[2] Die Sachverhaltswürdigung ist bindend, wenn sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt.[3]

Bei der Ermittlung allgemeiner Erfahrungssätze handelt es sich um Rechtsanwendung. Der BFH ist daher an einen vom FG fälschlicherweise angenommenen allgemeinen Erfahrungssatz nicht gebunden.[4] Nach der Lebenserfahrung ist zwar typischerweise davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer einen auch zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagen tatsächlich auch privat nutzt. Es gibt jedoch keinen Erfahrungssatz, dass dem Arbeitnehmer überhaupt ein Dienstwagen zur Privatnutzung zur Verfügung steht oder dass er einen Dienstwagen unbefugt auch privat nutzt.[5]

Allgemeine Erfahrungssätze sind jedermann zugängliche Sätze, die nach der allgemeinen Erfahrung gelten und durch keine Ausnahmen durchbrochen sind[6]; z. B. Beweis des ersten Anscheins.[7] Sie bieten allein ein Mittel zur rechtlichen Einordnung von Tatsachen, können aber die zuvor erfolgte Feststellung der Tatsachen nicht ersetzen.[8] Mit den allgemeinen Erfahrungssätzen steht nicht in Einklang, wenn bei der Würdigung der festgestellten Tatsachen Begriffsbestimmungen des allgemeinen Sprachgebrauchs nicht beachtet werden.[9]

 

Rz. 21

Einfache (spezielle) Erfahrungssätze, die nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage enthalten, begründen – anders als die allgemeinen Erfahrungssätze (Rz. 20) – lediglich die widerlegbare tatsächliche Vermutung für einen bestimmten Geschehensablauf.[10] Derartige spezielle Erfahrungen sind als sog. Erfahrungstatsachen vom Gericht in gleicher Weise festzustellen wie entscheidungserhebliche Tatsachen.[11] Das FG muss deshalb angeben, aufgrund welcher Unterlagen oder Erwägungen es im konkreten Fall von einem solchen Erfahrungssatz ausgeht.[12] Der BFH hat das bei der Feststellung des Erfahrungssatzes angewandte Verfahren zu überprüfen. Legt das FG einen speziellen Erfahrungssatz zugrunde, ohne dafür entsprechende Feststellungen zu treffen, ist die Sachverhaltsfeststellung nicht bindend.[13]

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