1 Grundlagen

 

Rz. 1

Im deutschen Recht lassen sich drei Arten von Delikten unterscheiden: Verbrechen[1], Vergehen[2] und Ordnungswidrigkeiten.[3]

Leichtere Pflichtverletzungen werden somit aus dem Bereich der Kriminalstrafe herausgenommen, wodurch insb. das Ziel der Entkriminalisierung verfolgt wird. Dies zeigt sich auch an zahlreichen rechtlichen Unterschieden zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren:

 

Rz. 2

Im Bereich der Ordnungswidrigkeiten unterliegen die Strafverfolgungsbehörden nicht dem Zwang, jede bekannt gewordene Tat zu verfolgen und ggf. auch Anklage zu erheben (Legalitätsprinzip). Vielmehr gilt insoweit das Opportunitätsprinzip, sodass im Ordnungswidrigkeitenverfahren eine gegenüber dem Strafverfahren größere Bandbreite an Entscheidungsmöglichkeiten besteht, selbst wenn die Verfolgungsvoraussetzungen vorliegen. Es besteht somit keine Pflicht zur Verfolgung, sondern die Verfolgung liegt (nur) im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde.

Kommt es zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit, so muss der Täter – im Gegensatz zu Straftaten, die grundsätzlich mit Geld- oder Freiheitsstrafen bedroht sind – lediglich mit einer Geldbuße rechnen. Die verhängten Geldbußen werden darüber hinaus nur in wenigen Bereichen – insb. bei Verkehrs- bzw. Gewerbeordnungswidrigkeiten – in einem zentralen Register erfasst und bewirken keine Vorstrafen.

Zu weiteren Besonderheiten des Rechts der Ordnungswidrigkeiten vgl. § 377 AO Rz. 7ff.

[2] Z. B. § 370 AO.
[3] Z. B. § 378 AO.

2 Rechtsgrundlagen

2.1 Materielles Recht der Ordnungswidrigkeiten

 

Rz. 3

Neben der Abgabenordnung – mit den dort in den §§ 378383 AO geregelten Ordnungswidrigkeiten – enthalten auch die Einzelsteuergesetze zahlreiche Steuerordnungswidrigkeiten. Darüber hinaus handelt es sich auch bei untergesetzlichen Normen, die sich mit Zöllen oder Abschöpfungen beschäftigen, um Steuergesetze, die Zollordnungswidrigkeiten und damit "Steuerordnungswidrigkeiten" i. S. d. § 377 Abs. 1 AO enthalten.[1] Als Steuerordnungswidrigkeiten sind anzusehen:[2]

  • Leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO,
  • Steuergefährdung, § 379 AO,
  • Gefährdung von Abzugsteuern, § 380 AO,
  • Verbrauchsteuergefährdung, § 381 AO, bei Verstößen gegen Pflichten nach den Verbrauchsteuergesetzen, z. B. § 24 KaffeStG, § 30 BierStG, § 64 EnergieStG, § 35 SchaumwZwStG, §§ 36, 37 TabakStG, § 158 BranntwMonG,
  • Gefährdung der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, § 382 AO,
  • unzulässiger Erwerb von Steuererstattungs- und Vergütungsansprüchen, § 383,
  • zweckwidrige Verwendung des Identifikationsmerkmals nach §§ 139a, 383a AO,
  • Verstoß gegen umsatzsteuerliche Ordnungsvorschriften, § 26a UStG[3],
  • Unterlassene oder nicht vollständige Entrichtung der in einer Rechnung i. S. d. § 14 UStG ausgewiesenen USt zum Fälligkeitszeitpunkt, 26b UStG[4],
  • Verstoß gegen Mitwirkungspflichten gem. §§ 50e Abs. 1,[5] 50 f[6] und 96 Abs. 7 EStG,
  • Verstoß gegen § 33 Abs. 4 ErbStG.[7]
 

Rz. 4

Der Anwendungsbereich der Abgabenordnung erstreckt sich aufgrund spezieller gesetzlicher Zuständigkeitsbestimmungen darüber hinaus auch auf bestimmte andere Ordnungswidrigkeiten, obwohl es sich bei ihnen nicht um Steuerordnungswidrigkeiten i. S. d. § 377 Abs. 1 AO handelt. Insoweit sind zu nennen:

Bei diesen Zuwiderhandlungen gelten die abgabenrechtlichen Bußgeldbestimmungen der AO entsprechend.

 

Rz. 5

Daneben enthalten das StBerG und das OWiG weitere Bußgeldtatbestände, bei denen es sich auch nicht um Steuer- bzw. Zollordnungswidrigkeiten handelt, für deren Verfolgung jedoch trotzdem die Finanzbehörde zuständig ist:

  • §§ 160163 StBerG, auf die gem. § 164 StBerG die Abgabenordnung entsprechend anwendbar ist[8],
  • § 111 OWiG, für den sich die zuständige Bußgeldbehörde aus dem Landesrecht ergibt[9], sodass die Finanzbehörde zuständig ist, wenn die Ordnungswidrigkeit ihr gegenüber begangen wurde, und
  • Ordnungswidrigkeiten gem. § 130 OWiG, auf die gem. § 131 Abs. 3 OWiG aufgrund der Sachnähe zwischen der Verletzung der Aufsichtspflicht und dem Steuerrecht das Verfahrensrecht der AO ebenfalls entsprechend anwendbar sein kann.[10]
[1] Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 377 AO Rz. 8; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 377 AO Rz. 13; zum Gesetzesbegriff vgl. auch § 4 AO.
[2] Vgl. die nicht abschließenden Nr. 105–108 AStBV (St) 2014; vgl. auch Hunsmann, in: Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 377 AO Rz. 13.
[3] Vgl. Rz. 33ff.
[4] Vgl. Rz. 43ff.
[5] Vgl. Rz. 7ff. und 18ff.
[6] Vgl. Rz. 15ff.
[7] Vgl. Rz. 25ff.
[8] Vgl. Rz. 68ff.
[9] Gürtler, in Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 111 OWiG Rz. 25.
[10] Vgl. Rz. 100ff.

2.2 Formelles Recht der Ordnungswidrigkeiten

 

Rz. 6

In den §§ 409412 AO finden sich Sonderregelungen bezüglich des formellen Rechts der Steuerordnungswidrigkeiten, die Vorrang genießen vor den allgemeinen Vorschriften in anderen Gesetzen. Da das Bußgeldverfahren in der Abgabenordnung jedoch nicht abschließend geregelt ist, finden gem. § 410 AO die verfahrensrechtlichen Vorschriften des OWiG für das Bußge...

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