Rz. 100

§ 130 OWiG stellt für die Strafverfolgungsorgane ein wichtiges Mittel dar, um im Bereich des Steuerstraf- wie des Steuerordnungswidrigkeitenrechts betriebsbezogene Pflichtverletzungen in Betrieben und Unternehmen zu sanktionieren. Er erfasst den Fall, dass es durch die Verletzung der Aufsichtspflicht in einem Betrieb oder Unternehmen zu einer Steuerverkürzung kommt, ohne dass ein Fall der §§ 370, 378 AO vorliegt. § 130 OWiG stellt somit einen Auffangtatbestand dar.[1]

Die Notwendigkeit für eine solche Vorschrift ergibt sich daraus, dass insbesondere in größeren Unternehmen in vielen Fällen erhebliche Probleme bestehen, wenn die Verantwortlichkeiten für rechtswidriges Handeln geklärt werden müssen. Weil häufig angesichts der großen Zahl potenzieller Täter ein Einzelnachweis in Ermangelung ausreichender Beweise nicht geführt werden kann, kann vielfach die Ermittlungsbehörde den unmittelbar Verantwortlichen für solche Taten nicht ermitteln. Darüber hinaus besteht in manchen Fällen auch das Bedürfnis, neben dem (festgestellten) Täter den Betriebsinhaber zur Rechenschaft zu ziehen, um für die Zukunft entsprechende Verhaltensweisen durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen zu unterbinden. Es soll verhindert werden, dass sich der Betriebsinhaber durch umfassendes Delegieren seiner Pflichten der eigenen Verantwortung für rechtswidriges Handeln weitgehend entzieht.

Geschütztes Rechtsgut des § 130 OWiG sind somit die durch die einzelnen betriebsbezogenen Straf- und Bußgeldvorschriften geschützten Interessen.[2]

 

Rz. 101

Aus dem Charakter des § 130 OWiG als Auffangtatbestand folgt, dass die Norm nicht anwendbar ist, wenn der Betriebsinhaber selbst die ihm obliegenden Pflichten wahrnimmt und damit selber den Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand verwirklicht.[3] Hat der Aufsichtspflichtige hingegen nur in Bezug auf die Aufsichtspflichtverletzung vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, nicht aber auch hinsichtlich der Zuwiderhandlung, so greift § 130 OWiG ein.

 
Praxis-Beispiel

Der mit einem untadeligen Ruf versehene Buchhalter gibt nach Manipulationen an den Umsatzsteuervoranmeldungen zu niedrige Zahlen gegenüber dem FA an und verwendet die Differenz zur in der Buchführung festgehaltenen korrekten USt für seine persönlichen Zwecke. Der Geschäftsführer G hatte sich um die Umsatzsteuervoranmeldungen nicht gekümmert und deshalb keine Kenntnis von den Verkürzungen. Im Rahmen des Strafverfahrens bleibt zweifelhaft, ob regelmäßige Kontrollen sicher zur Aufdeckung geführt hätten.

Bezüglich G ist weder eine vorsätzliche, noch eine leichtfertige Steuerverkürzung nachweisbar. Allerdings kann gegen ihn nach § 130 OWiG eine Geldbuße verhängt werden, denn es ist in dem Unternehmen durch die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen zu einer mit Strafe bedrohten Zuwiderhandlung gekommen. Ferner hat G Aufsichtsmaßnahmen unterlassen und es ist davon auszugehen, dass durch solche Maßnahmen die Zuwiderhandlung zumindest wesentlich erschwert worden wäre.[4]

Wäre der Buchhalter hingegen schon mehrfach wegen Verstößen gegen Steuervorschriften aufgefallen, hätte der G ihn jedoch nicht beaufsichtigt und hätte diese Beaufsichtigung sicher zur Verhinderung der Tat geführt, so ist G selbst Täter einer Ordnungswidrigkeit i. S. des § 378 Abs. 1 AO. Daneben wäre § 130 OWiG nicht anwendbar, obwohl der Tatbestand ebenfalls erfüllt ist.

 

Rz. 102

Da es sich bei § 130 OWiG um einen Auffangtatbestand handelt, tritt er auch zurück, wenn der Betriebsinhaber oder der für ihn verantwortlich Handelnde wegen Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB, Teilnahme gem. §§ 26, 27 StGB oder Beteiligung nach § 14 OWiG an der in dem Betrieb begangenen Zuwiderhandlung verfolgt werden kann. Dasselbe gilt, wenn der Betriebsinhaber wegen fahrlässiger Nebentäterschaft verfolgt werden kann, bei der sich die Fahrlässigkeit nicht nur auf die Aufsichtspflichtverletzung, sondern (auch) auf die konkrete Zuwiderhandlung bezieht.[5]

 

Rz. 103

§ 130 OWiG führt jedoch zu einer Erweiterung der Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn und sonstiger Aufsichtspersonen in den Fällen, in denen ihnen (nur) Fahrlässigkeit bzgl. einer Vorsatz oder Leichtfertigkeit erfordernden Bezugstat anzulasten ist bzw. wenn sich ihr Verschulden nicht auf die Zuwiderhandlung selbst bezieht.

 
Praxis-Beispiel

Wie im vorherigen Beispiel lässt G den Buchhalter, der mit einem untadeligen Ruf versehen ist, die Steuerangelegenheiten selbstständig bearbeiten. Der Buchhalter B verbucht leichtfertig aufzeichnungspflichtige Betriebsvorgänge falsch, sodass die von ihm gefertigten Steuererklärungen unrichtig sind. G bemerkt die Unrichtigkeit jedoch leicht fahrlässig nicht, als ihm die Erklärungen zur Unterschrift vorgelegt werden. Bei gehöriger Aufsicht wären die Falschbuchungen jedoch erkannt worden.

In diesem Beispiel hat der Buchhalter eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 Abs. 1 AO begangen. Der G ist aufgrund seiner eigenen leichten Fahrlässigkeit zwar nicht nach § 378 Abs. 1 AO zu belangen, sondern nur nach § 130 OWiG, da er f...

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