1 Allgemeines

1.1 Zweck und Inhalt der Mitwirkungsverweigerungsrechte

 

Rz. 1

Ziel des Besteuerungsverfahrens ist nach § 85 AO die gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuer. Hieraus folgt das Ermittlungsrecht der Finanzbehörde[1] und die Mitwirkungspflicht der Bürger.[2] Dem staatlichen Aufklärungsinteresse steht das Interesse an schutzwürdigen Vertrauenssphären des Bürgers oder Institutionen gegenüber, sodass notwendig eine Interessenabwägung zwischen diesen verschiedenen Rechtsgütern erforderlich ist. Diese Entscheidung ist in der deutschen Rechtsordnung, den aus den Grundrechten (insbesondere Art. 1 Abs. 1, Art. 6, Art. 12 GG) folgenden Bindungen entsprechend, zugunsten der schutzwürdigen Vertrauenssphäre getroffen worden. Dies gilt sowohl für das Strafverfahren[3], für das allgemeine Verwaltungsverfahren[4], für das zivilprozessuale Verfahren[5] als auch für das Besteuerungsverfahren (s. Rz. 4).

Die steuerlichen Mitwirkungspflichten (Auskunfts- und Eidespflicht, Pflicht zur Erstattung von Sachverständigengutachten bzw. die Vorlagepflicht für Urkunden und Wertsachen) erfahren im Einzelfall ihre Einschränkung durch §§ 101106 AO. Diese Regelungen geben den jeweiligen Normadressaten das Recht, ihre Mitwirkungspflichten zu verweigern und sind damit Rechtfertigungsgründe für die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten. Macht der Berechtigte von seinem Weigerungsrecht Gebrauch, so entfällt die Pflichtwidrigkeit der Nichterfüllung und damit die Grundlage für die Anwendung von Zwangsmitteln (s. Rz. 8).

 

Rz. 2

Rechtstechnischer Anknüpfungspunkt für die Mitwirkungsverweigerungsrechte ist zunächst das Auskunftsverweigerungsrecht.[6] Hieraus folgt dann das Recht zur Eidesverweigerung[7], nach § 104 AO das Vorlageverweigerungsrecht hinsichtlich von Urkunden und Wertsachen und das Gutachtenverweigerungsrecht von Sachverständigen.

[2] §§ 90, 93, 93a–93d, 94, 96, 97, 100 AO.
[3] S. z. B. §§ 52, 53 StPO.
[4] S. § 65 VwVfG i. V. m. §§ 383, 384 ZPO.
[5] Z. B. §§ 383, 384 ZPO.

1.2 Übersicht über die Mitwirkungsverweigerungsrechte

 

Rz. 3

 
Mitwirkungsverweigerungsrechte
(§§ 101106 AO)
Mitwirkungsverweigerungsberechtigte
Beteiligte Dritte
(§ 78 AO) bzw.
gleichgestellte
Personen
Angehörige
des Beteiligten
Berufsgeheimnisträger öffentliche
Stellen
Schutz der
Angehörigen
  § 101 AO    
Schutz von
Berufsgeheimnissen
§ 102 AO      
Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit s. Vor
§§ 101–106 AO Rz. 16
§ 103 AO § 103 AO § 103 AO
Behördliche
Schweigepflicht
      § 105 AO
Gefahr der Beeinträchtigung des staatlichen Wohls § 106 AO § 106 AO § 106 AO § 106 AO

1.3 Abschließende Regelung

 

Rz. 4

Die Einschränkung der Mitwirkungspflichten durch §§ 101106 AO (s. Rz. 1) gilt im gesamten Besteuerungsverfahren der Finanzbehörde, also auch in der Außenprüfung[1], im Einspruchsverfahren[2], im Vollstreckungsverfahren und im Ermittlungsverfahren der Steuer- bzw. Zollfahndung in unbekannten Steuerfällen nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO, da dieses ein steuerliches Verfahren ist. Im finanzgerichtlichen Verfahren gelten §§ 101103 AO sinngemäß.[3]

§§ 101106 AO enthalten für die Mitwirkungsverweigerungsrechte im Besteuerungsverfahren eine abschließende Regelung hinsichtlich des verweigerungsberechtigten Personenkreises sowie der Verweigerungsgründe.[4] Die gesetzlichen Mitwirkungsverweigerungsrechte sind voneinander unabhängig.[5] Sie sind Ausnahmetatbestände; liegen deren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor, so kommt grundsätzlich dem Aufklärungsinteresse des Staates der Vorrang zu (s. Rz. 1).

 

Rz. 5

Die steuerlichen Mitwirkungspflichten können nicht durch zivilrechtliche Vereinbarungen zwischen dem Mitwirkungsverpflichteten und Dritten wirksam beschränkt werden.[6] Insbesondere steht Kreditinstituten kein Mitwirkungsverweigerungsrecht zu. Im Steuerrecht gibt es kein geschütztes Bankgeheimnis gegen Ermittlungen der Finanzbehörde im Einzelfall.[7]

2 Geltendmachung der Mitwirkungsverweigerungsrechte

2.1 Begründung – Rechtsschutz

 

Rz. 6

Verlangt die Finanzbehörde die Erfüllung einer der genannten Mitwirkungspflichten (s. Rz. 1) von einer Person, der ihrer Meinung nach ein Weigerungsrecht zusteht, so hat diese der Finanzbehörde Mitteilung von der Verweigerung der Pflichterfüllung zu machen und den Rechtsgrund hierfür anzugeben. Einer Darlegung der Motive für die Rechtsausübung bedarf es nicht.[1]

 

Rz. 7

Beharrt die Finanzbehörde gleichwohl auf der Pflichterfüllung, so können der Weigerungsberechtigte und der Beteiligte gegen die Aufforderung zur Mitwirkung, also z. B. das Auskunftsersuchen, Einspruch[2] einle...

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