1 Allgemeines

 

Rz. 1

Nach § 78 AO beteiligungsfähige Rechtssubjekte sind nicht notwendigerweise auch in der Lage rechtswirksame Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen. Ebenso wie das Zivilrecht zwischen Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit differenziert, unterscheidet auch das Steuerrecht zwischen der Steuerrechtsfähigkeit (Fähigkeit, Träger steuerlicher Rechte und Pflichten zu sein) und der Handlungsfähigkeit (Fähigkeit zur Vornahme rechtsverbindlicher Verfahrenshandlungen und anderer Handlungen). § 79 AO regelt daher aufbauend auf diesem Gedanken die Handlungsfähigkeit im Steuerverwaltungsverfahren. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich insoweit der Begriff "Verfahrenshandlungsfähigkeit" durchgesetzt. Die Verfahrenshandlungsfähigkeit ist daher von der Beteiligtenfähigkeit i. S. v. § 78 AO abzugrenzen. Letztere kann auch bei Verfahrenshandlungsunfähigen gegeben sein.

 

Rz. 2

Die Regelung besteht seit Inkrafttreten der Abgabenordnung weitgehend unverändert. § 79 AO löste die Regelung des § 102 RAO ab. Absatz 2 wurde durch Art. 7 § 40 BtG[1] mit Wirkung zum 1.1.1992 eingefügt. Der bisherige § 79 Abs. 2 AO wurde zu § 79 Abs. 3 AO.

§ 79 AO entspricht weitgehend den Parallelregelungen in § 12 VwVfG und § 11 SGB X sowie § 58 FGO.

[1] BetreuungsG v. 12.9.1990, BGBl I 1990, 2001.

1.1 Zweck der Norm

 

Rz. 3

§ 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO dienen dem Schutz nicht voll geschäftsfähiger Personen, indem die (beschränkte) Geschäftsfähigkeit zur Voraussetzung erhoben wird, damit eine natürliche Person rechtswirksame Verfahrenshandlungen vornehmen kann.[1] Die Schutzrichtung der Norm indiziert, dass die Verfahrenshandlungsfähigkeit von Amts wegen zu jeder Zeit des Steuerverwaltungsverfahrens zu prüfen ist.[2]

 

Rz. 4

Die Finanzbehörde kann sich somit nicht auf den guten Glauben hinsichtlich der Verfahrenshandlungsfähigkeit eines Beteiligten zum Zeitpunkt der Verfahrenshandlung berufen.[3] Ungeachtet dieser Amtsermittlungspflicht darf die Finanzbehörde aber grds. von der Verfahrenshandlungsfähigkeit eines Beteiligten ausgehen und ist nur bei Tatsachen, die Zweifel an der Verfahrenshandlungsfähigkeit rechtfertigen zur Prüfung verpflichtet.

§ 79 Abs. 1 Nr. 3 und 4 AO regeln die Verfahrenshandlungsfähigkeit von (handlungsunfähigen) juristischen Personen etc. und Behörden unter Verweis auf die Bestimmungen zur Vertretung dieser Rechtsgebilde.

§ 79 Abs. 2 und 3 AO sollen einem etwaigen widersprüchlichem Handeln in Betreuungs- und Pflegefällen entgegenwirken.[4]

[1] BFH v. 27.7.1994, XI S 1/94, BStBl II 1994, 787; BFH v. 16.4.1997, XI R 61/94, BStBl II 1997, 595; Mues, in Gosch, AO/FGO, § 79 AO Rz. 2; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 5; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rz. 6; Ebling, DStZ 1998, 322.
[3] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 128; Mues, in Gosch, AO/FGO, § 79 AO Rz. 2; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rz. 6; Ebling, DStZ 1998, 322.
[4] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 5.

1.2 Anwendungsbereich

 

Rz. 5

Der persönliche Anwendungsbereich der § 79 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 und 3 AO erstreckt sich auf natürliche Personen. Absatz 2 regelt hierbei die Verfahrenshandlungsfähigkeit eines Betreuten, wenn in einem Betreuungsverhältnis i. S. d. §§ 1896 ff. BGB ein Einwilligungsvorbehalt gem. § 1903 BGB enthalten ist, der zumindest auch den Gegenstand des Steuerverwaltungsverfahrens betrifft. Mittels Verweises auf die §§ 53 und 55 ZPO regelt der Absatz 3 die Handlungsfähigkeit von Ausländern sowie von Betreuten und Pflegebefohlenen. § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO regelt die Verfahrenshandlungsfähigkeit von juristischen Personen und Vereinigungen. Wenn und soweit Behörden ausnahmsweise nicht selbst Träger des Steuerverwaltungsverfahrens sind, regelt § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO die Verfahrenshandlungsfähigkeit von Behörden als Beteiligte.

 

Rz. 6

Der sachliche Anwendungsbereich des § 79 AO erstreckt sich auf das gesamte Steuerverwaltungsverfahren. Dies schließt insbesondere auch das Haftungs- und Erhebungsverfahren sowie das Rechtsbehelfsverfahren mit ein.

Keine Anwendung findet § 79 AO bei Steuerordnungswidrigkeiten und im Steuerstrafverfahren.[1]

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 9.

1.3 Begriff der (Verfahrens-) Handlungsfähigkeit

 

Rz. 7

§ 79 AO – weitgehend identisch mit § 12 VwVfG – beschreibt die rechtliche (Verfahrens-) Handlungsfähigkeit im Steuerverwaltungsverfahren. Die Vorschrift regelt nach allgemeiner Auffassung nicht nur die sog. aktive, sondern auch die sog. passive Handlungsfähigkeit.[1] Sie ist zu unterscheiden von der natürlichen Handlungsfähigkeit, die ausschließlich natürliche Personen besitzen. Der Begriff der Handlungsfähigkeit bezeichnet eine verfahrensrechtliche Eigenschaft des Beteiligten.[2] Er entspricht dem prozessualen Begriff der Prozessfähigkeit nach den §§ 51 ff. ZPO; § 58 FGO; § 62 VwGO.

 

Rz. 8

Der Begriff der Verfahrenshandlungsfähigkeit erfasst die Fähigkeit des Beteiligten, im Verwaltungsverfahren der Finanzbehörde rechtswirksame Handlungen selbst vorzunehmen oder eine Vollmacht zu erteilen[3] und Handlungen durch einen Bevollmächtigten[4] vornehmen zu las...

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