1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 413 AO dient der Wahrung des in Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG bestimmten Zitiergebots. Soweit ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, verlangt Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG, dass dieses Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennt. Das Zitiergebot gilt nicht für alle Grundrechte, sondern nur für diejenigen, die nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut "durch Gesetz" oder "aufgrund eines Gesetzes" eingeschränkt werden können.[1] Eine Zitierung des Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG, des Gleichheitssatzes gem.Art. 3 GG, der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG oder der Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 GG ist daher nicht erforderlich.[2]

 

Rz. 2

Das Zitiergebot erfüllt eine Warn- und Besinnungsfunktion. Durch die Benennung des Eingriffs im Gesetzeswortlaut soll gesichert werden, dass der Gesetzgeber nur Eingriffe vorsieht, die ihm als solche bewusst sind und über deren Auswirkungen auf die betroffenen Grundrechte er sich Rechenschaft ablegt. Die ausdrückliche Benennung erleichtert es auch, die Notwendigkeit und das Ausmaß des beabsichtigten Grundrechtseingriffs in öffentlicher Debatte zu klären.[3] Unterbleibt eine Zitierung des eingeschränkten Grundrechts, ist die entsprechende Vorschrift unheilbar nichtig.[4]

 

Rz. 3

Da eine Einschränkung der genannten Grundrechte durch zahlreiche bzw. aufgrund zahlreicher Regelungen der AO erfolgt, deren einzelne Kennzeichnung nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG aber unpraktikabel ist, hat sich der Gesetzgeber für eine zusammengefasste, für alle Vorschriften der AO geltende Zitierung der betroffenen Grundrechte in der Schlussvorschrift des § 413 AO entschieden. Ein solches Vorgehen ist angesichts der mit dem Zitiergebot verfolgten Zwecke zwar fragwürdig, wird durch das BVerfG aber nicht beanstandet. Es wirkt aber nur für die Vorschriften, die im Zeitpunkt der erstmaligen Zitierung vorhanden waren – auch wenn sie später geringfügig geändert werden[5]-, aber nicht für grundrechtseinschränkende Vorschriften, die erst anschließend eingeführt werden.[6]

Rz. 4–9 einstweilen frei

[1] BVerfG v. 4.5.1983, 1 BvL 46/80, BVerfGE 64, 72.
[2] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 413 AO Rz. 6.
[3] So ausdrücklich BVerfG v. 27.2.2008, 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274, und Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 413 AO Rz. 1f.
[5] BVerfG v. 27.5.2020, 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119.

2 Einschränkung von Grundrechten durch die AO

 

Rz. 10

§ 413 AO benennt mit den Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 GG, des Briefgeheimnisses sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses gem. Art. 10 GG und der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 GG die Grundrechte (unter Angabe ihres Artikels) , die "nach Maßgabe dieses Gesetzes", also durch die oder aufgrund der AO, eingeschränkt werden.

 

Rz. 11

Die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person i. S. des Art. 2 Abs. 2 GG werden insbesondere eingeschränkt durch

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch das BVerfG aus den Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG und nicht aus Art. 2 Abs. 2 GG[1] hergeleitet.[2] Diese unterliegen aber nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG[3], weil sie nicht "durch ein Gesetz" oder "aufgrund eines Gesetzes" eingeschränkt werden können. Entsprechend werden die Einschränkungen etwa durch §§ 30 Abs. 6, 31a, 88a, 139a bis 139d, 249 Abs. 2 S. 2 AO, nicht durch das Zitat des § 413 AO umfasst.[4]

 

Rz. 12

Das von Art. 10 GG gewährleistete Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis wird durch § 404 S. 1 i. V. m. § 100a StPO eingeschränkt.

Keine Einschränkung erfolgt dagegen durch § 105 AO (und den auf diese Vorschrift verweisenden § 111 Abs. 5 AO[5]). Denn die in § 105 Abs. 1 AO gegenüber den Finanzbehörden geregelte Freistellung von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit gilt nach § 105 Abs. 2 AO gerade nicht, soweit eine Verpflichtung zur Wahrung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses besteht.[6]

 

Rz. 13

Das durch Art. 13 GG geregelte Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung wird z. B. eingeschränkt durch

  • § 99 AO (Betreten von Grundstücken und Räumen),
  • § 200 Abs. 3 S. 2 AO (Betreten von Grundstücken und Betriebsräumen während einer Außenprüfung),
  • § 210 Abs. 2 AO (Betreten von Grundstücken und Räumen bei der Nachschau im Rahmen der Steueraufsicht bei Verbrauchsteuern),
  • § 287 AO (Betreten zur Durchsuchung durch den Vollziehungsbeamten),
  • § 399 Abs. 2, 404 AO i. V. m. den Vorschriften der StPO (Durchsuchung im Steuerstrafverfahren).

Auch § 146 Abs. 1 S. 3 AO (Betreten von Wohnräumen bei der ...

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