Rz. 25

Der Begriff der geringen Schuld ist bei § 398 AO mit dem bei § 153 StPO relevanten Schuldmaßstab identisch (Rz. 4, 5a). Zur weiteren Konkretisierung dieses Begriffs muss man auf die individuelle Schuld des jeweiligen Täters abstellen.[1]

Eine geringe Schuld ist anzunehmen, "wenn bei einem Vergleich mit Vergehen gleicher Art die Schuld nicht unerheblich unter dem Durchschnitt liegt".[2] Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Relation zwischen der Individualschuld und dem Verschuldensgrad zu beachten, der bei einem Normalfall mit ähnlich geringem Schaden festgestellt werden kann. Dabei muss der Vorsatz als wenig gravierend anzusehen sein.

 

Rz. 25a

Als Schuldmaßstab bietet sich in diesem Zusammenhang die Überlegung an, welche Strafe der Täter im Einzelfall zu erwarten hätte, denn Grundlage für die Strafbemessung ist nach § 46 Abs. 1 S. 1 StGB stets die Schuld des Tatbeteiligten (Rz. 5a), die sich damit bei Geldstrafe in der nach § 40 Abs. 1 S. 1 StGB zu verhängenden Zahl von Tagessätzen niederschlägt. Fälle, in denen an sich eine Freiheitsstrafe schuldangemessen ist, können nicht nach § 398 AO behandelt werden (Rz. 24). Eine geringfügige Schuld bewirkt demgemäß eine geringe Zahl von Tagessätzen.[3] Verurteilungen zu Niedrigstrafen will § 398 AO – ebenso wie § 153 StPO – aber gerade vermeiden (Rz. 4). Die Schuld des Täters ist daher dann als geringfügig i. S. v. § 398 AO anzusehen, wenn lediglich eine geringe Strafe zu erwarten wäre (Rz. 5a). Eine geringwertige Verkürzung indiziert regelmäßig eine geringe Schuld.[4] Von einer i. d. S. geringen Strafe kann man ausgehen, wenn nicht mehr als 20 Tagessätze verwirkt sind[5], wobei die Höhe des Tagessatzes[6] für die schuldangemessene Strafzumessung unerheblich ist.[7]

 

Rz. 25b

Die Einstellung nach § 398 AO bzw. § 153 StPO kann erfolgen, "wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre". Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren[8] braucht also nicht bis zum Nachweis der geringen Schuld geführt zu werden. Für diese muss nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen.[9]

[2] Rz. 5a; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 153 StPO Rz. 4; s. auch Quedenfeld, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 398 AO Rz. 8–11; s. auch Nr. 82 Abs. 3 S. 1 AStBV (St) 2023, BStBl I 2023, 103, 128.
[3] Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 153 StPO Rz. 4; Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 398 AO Rz. 26.
[4] Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 398 AO Rz. 26: 10 bis 20 Tagessätze; zum Verfahren bei der Familienkasse: Bundeszentralamt für Steuern DA-KG 2023 Kapitel S 8.1.7.2. Abs. 2 S. 6: 6 bis 8 Tagessätze, BStBl I 2023, 818, 958.
[5] Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 398 AO Rz. 26; Quedenfeld, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 398 AO Rz. 11.
[7] Webel, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 369 AO Rz. 85a.
[9] Nr. 82 Abs. 3 S. 4 und 5 AStBV (St) 2023, BStBl I 2023, 103, 128; Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 398 Rz. 5.

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