Rz. 8

Die Aussetzung des Strafverfahrens ist nur zulässig, wenn über den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch entschieden werden kann, d. h., er darf noch nicht infolge der Festsetzungsverjährung[1] erloschen sein. Hierbei ist es unerheblich, ob die Finanzbehörde das Besteuerungsverfahren schon tatsächlich begonnen hat.[2] Es muss nur rechtlich durchgeführt werden können und die Durchführung in Erfüllung des Legalitätsprinzips nach § 85 AO von der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde unzweifelhaft zeitnah beabsichtigt sein.[3]

Im Übrigen kommt die Aussetzung des Strafverfahrens nur bis zum bestands- bzw. rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens[4] in Betracht. Kürzere Fristen oder feste Termine sind zulässig. Das Besteuerungsverfahren ist abgeschlossen mit der Unanfechtbarkeit der entsprechenden Steuerfestsetzungen oder Einspruchsentscheidungen[5] bzw. mit der Rechtskraft des Urteils des FG oder des BFH. Die spätere denkbare Änderbarkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsakts ermöglicht keine Aussetzung nach § 396 AO.

 

Rz. 8a

Zwischen dem Beteiligten[6] des Besteuerungsverfahrens und dem Beschuldigten bzw. Angeklagten des Strafverfahrens[7] braucht keine Personenidentität gegeben zu sein.[8] Maßgeblich ist nur, dass in beiden Verfahren über denselben Lebenssachverhalt entschieden werden muss.[9] Der Beschuldigte muss aber zumindest als Haftender[10] für den Anspruch in Betracht kommen, über den im Besteuerungsverfahren gegen den Steuerschuldner zu entscheiden ist.[11]

 

Rz. 9

Nicht aus dem Wortlaut ersichtlich, jedoch als gedankliche Voraussetzung der Aussetzung nach § 396 AO unabdingbar ist, dass im Besteuerungsverfahren überhaupt eine Entscheidung zu erwarten ist. Dies ist nicht der Fall, wenn das finanzbehördliche oder finanzgerichtliche Verfahren im Hinblick auf das Strafverfahren ausgesetzt ist.[12]

Die Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO bzw. § 69 FGO hindert die Verfahrensaussetzung nach § 396 AO nicht, wie sie diese auch nicht gebietet.[13]

 

Rz. 9a

Gleiches gilt, wenn das FG infolge der Untätigkeit der Beteiligten des FG-Verfahrens gemäß der Aktenordnung ausgetragen hat. Hierdurch wird zwar das Klageverfahren nicht beendet, mit einer Entscheidung in der Steuersache ist aber nur dann zu rechnen, wenn das Klageverfahren wieder aufgenommen wird.[14]

[3] Pflaum, in MüKoStPO, 1. Aufl. 2018, § 396 AO Rz. 15; Gast-de Haan, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. 2005, § 396 AO Rz. 15; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 396 AO Rz. 25; a. A. Jäger, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 396 AO Rz. 23; Schuhmann, wistra 1992, 172, 175; Blumers, DB 1983, 1571f.
[4] Dumke, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Vor §§ 78–133 AO Rz. 17; LG Berlin v. 26.11.1991, (514) 1 St Js 209/88 Kls (10/90), wistra 1992, 155: Aussetzung nach Klageabweisung und Nichtzulassung der Revision; Jäger, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 396 AO Rz. 24; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 396 AO Rz. 24.
[8] Jäger, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 396 AO Rz. 15; a. A. Baumann, BB 1976, 753, basierend auf der Rspr. des RG und BGH zu § 442 RAO u. Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 396 AO Rz. 22.
[9] Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 396 Rz. 4; Brandenstein/Tsambikakis in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 396 AO Rz. 10.
[10] § 71 AO.
[12] § 363 Abs. 2 AO; § 74 FGO; vgl. BGH v. 1.8.1962, 4 StR 209/62, NJW 1962, 2070f.; BGH v. 6.6.1973, 1 StR 82/72, NJW 1973, 1562, 1565; Baumann, BB 1976, 753; Jäger, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 396 AO Rz. 19; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 396 AO Rz. 11; Pflaum, in MüKoStPO, 1. Aufl. 2018, § 396 AO Rz. 37.
[13] S. Rz. 15; Jäger, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 396 AO Rz. 40; s. a. Felix, BB 1990, 1243.

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