1 Allgemeines

1.1 Recht auf Verteidigung

 

Rz. 1

Nach § 385 Abs. 1 AO gelten für das Steuerstrafverfahren und für das Verfahren wegen Straftaten, auf die sich die Ermittlungskompetenz der Finanzbehörden i. S. v. § 386 Abs. 1 AO erstreckt[1], die allgemeinen Vorschriften der StPO. Hier treffen insbesondere §§ 137149 StPO Regelungen zur Verteidigung, die für den Bereich des Steuerstrafrechts noch durch die speziellere Bestimmung des § 392 AO ergänzt und teilweise abgeändert werden.

 

Rz. 2

Nach § 137 Abs. 1 S. 1 StPO kann sich der Beschuldigte[2] in jedem Abschnitt des Strafverfahrens des Beistands eines Verteidigers seiner Wahl bedienen. § 392 AO erweitert den Kreis der als Verteidiger in Betracht kommenden Personen um Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer.[3] Das Recht auf Verteidigung ist ein verfassungsrechtlich garantierter Teil des Rechtsstaatsprinzips.[4] Zur Sicherung dieses Rechts besteht eine zwingende Belehrungspflicht. Der Beschuldigte ist nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO zu belehren, wenn er zur Mitwirkung im Verfahren aufgefordert wird, insbesondere wenn er zu dem Tatvorwurf gehört werden soll.

 

Rz. 3

Das Recht auf einen Verteidiger besteht nach § 137 Abs. 1 S. 1 StPO in jeder Lage des Verfahrens, also sowohl im staatsanwaltschaftlichen bzw. finanzbehördlichen Ermittlungsverfahren als auch im strafgerichtlichen Verfahren.[5]

[1] Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 386 Rz. 6.
[3] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 392 AO Rz. 4.
[4] S. auch Art. 6 Abs. 3 MRK; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 137 StPO Rz. 2 m. w. N.
[5] Klein/Jäger, AO, 16. Aufl. 2022, § 392 Rz. 1.

1.2 Rechtsstellung des Verteidigers

 

Rz. 4

Der Verteidiger ist nach ganz h. M. als ein dem Strafgericht und der Staatsanwaltschaft gleichgeordnetes Organ der Rechtspflege anzusehen.[1] Er handelt als Beistand des Beschuldigten und im Strafverfahren nicht als dessen Vertreter. Der Verteidiger handelt in seiner Stellung selbstständig in eigenem Namen, und ist an Weisungen seines Mandanten nicht gebunden.[2]

 

Rz. 5

Aufgabe des Verteidigers ist es, den Beschuldigten in die Lage zu versetzen, die gesetzlich normierten Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrzunehmen und "Waffengleichheit" mit den Strafverfolgungsbehörden herzustellen. Zu den Rechten und Pflichten des Verteidigers s. Rz. 41ff. Der Beschuldigte wird durch die Tätigkeit des Verteidigers in die Lage versetzt, seine prozessualen Rechte und Möglichkeiten selbstständig und unabhängig von den anderen Verfahrensbeteiligten zu nutzen. Der Verteidiger hat darauf zu achten, dass die Zugriffe der Strafverfolgungsbehörden im rechtsstaatlich einwandfreien Rahmen ablaufen und die strafprozessualen Förmlichkeiten beachtet[3] und alle für seinen Mandanten günstigen Umstände erörtert und im Verfahren berücksichtigt werden.

 

Rz. 6

Grenzen der Verteidigung ergeben sich durch das anwaltliche Standesrecht und durch das allgemeine Strafrecht, hier insbesondere die §§ 257258 StGB, die die Begünstigung und die Strafvereitelung unter Strafe stellen.[4]

Der Verteidiger muss trotz seiner Stellung als Organ der Rechtspflege nicht, wie die übrigen Strafverfolgungsorgane, objektiv zur Wahrheitsfindung beitragen. Er darf sich vielmehr einseitig darauf beschränken, Entlastendes vorzubringen, und darf ihm bekannte belastende Tatsachen verschweigen. Ein Strafverteidiger darf, ohne sich dem Vorwurf einer Begünstigung auszusetzen, selbst dann noch einen Freispruch anstreben, wenn er die Schuld seines Mandanten kennt, solange er sich jeder bewussten Verdunkelung des Sachverhalts enthält und sich bei seinem Vorgehen auf verfahrensmäßig erlaubte Mittel beschränkt.[5] Der Verteidiger darf also die Wahrheitsfindung nicht behindern und z. B. Zeugen oder Sachverständige nicht zu einer unrichtigen Aussage bewegen.

[1] Ausführlich Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, Vor § 137 StPO Rz. 1 m.  w. N.
[2] Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, Vor § 137 StPO Rz. 1.
[3] OLG München v. 28.11.1975, 1 Ws 1304/75, NJW 1976, 252.
[4] Willnow, in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, Vorbem. zu §§ 137-150 StPO, Rz. 7, 10f.
[5] So schon BGH v. 20.5.1952, 1 StR 748/51, BGHSt 2, 375, 377.

2 Besonderheiten der Verteidigung im Steuerstrafverfahren (Abs. 1)

2.1 Erweiterung der Verteidigungsbefugnis

 

Rz. 7

Nach § 138 Abs. 1 StPO können zu Verteidigern Rechtsanwälte sowie Rechtslehrer an deutschen Hochschulen bestellt werden. Dieser Personenkreis wird durch § 392 Abs. 1 AO für das Steuerstrafverfahren auf Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer erweitert. Diese Berufsträger dürfen in den Grenzen des § 392 Abs. 1 AO, sofern die Finanzbehörde das Verfahren selbständig führt, allein und eigenständig als Verteidiger auftreten. Ihre Rechtsstellung entspricht voll der Position des "normalen" Verteidigers im Strafverfahren.

Gedankliche Grundlage dieser Erweiterung ist, dass der Schwerpunkt der Ermittlungstätigkeit bei den Steuerstraftaten durch die steuerrechtliche Rechtslage geprägt ist, z. B. durch die Höhe der Steuerverkürzung.[1] Demgemäß erm...

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