Rz. 33

Nach § 140 Abs. 1 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers notwendig, wenn z. B.

  • die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
  • dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
  • das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann.

In umfangreichen Hinterziehungsfällen wird regelmäßig vor einer (Wirtschafts-)Strafkammer des zuständigen Landgerichts[1] verhandelt. Auch kommt hier häufig die Verhängung eines Berufsverbots[2] infrage.

 

Rz. 34

Nach § 140 Abs. 2 StPO kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers geboten sein, wegen der Schwere der Tat, wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Eine Tat ist dann schwer i. S. d. Bestimmung, wenn die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend ist[3], z. B. wenn eine längere Freiheitsstrafe im Raum steht, also bei einer Straferwartung ab einem Jahr Freiheitsstrafe.[4] Die Rspr. wendet § 140 Abs. 2 StPO stets dann an, wenn die Sanktion nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

Die Sachlage ist dann schwierig i. S. d. Regelung, wenn die Feststellungen zur Täterschaft oder Schuld (z. B. zur Schuldfähigkeit) eine umfangreiche Beweisaufnahme erfordern oder aber besondere Probleme auftreten können, wie etwa die Beurteilung der Glaubwürdigkeit sich widersprechender Zeugenaussagen[5] oder die Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten.[6]

Eine schwierige Rechtslage ist dann gegeben, wenn es bei der Anwendung materiellen oder formellen Rechts voraussichtlich zu Schwierigkeiten kommen kann, z. B. wegen nicht geklärter Rechtsfragen.[7]

Der Beschuldigte kann sich dann nicht selbst verteidigen, wenn nicht sicher gewährleistet ist, dass er der Verhandlung folgen und seine Interessen wahren können wird. Dies gilt allgemein für Ausländer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Das Gesetz hebt in § 140 Abs. 2 S. 2 StPO im Übrigen hervor, dass tauben oder stummen Beschuldigten auf deren Antrag stets ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist.

 

Rz. 34a

Das Gebot der Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 141 StPO gilt erst ab Anklageerhebung. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Staatsanwaltschaft, bzw. in den Fällen des § 386 Abs. 2 AO die Finanzbehörde, Herrin des Verfahrens. Allein sie bestimmt, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und dementsprechend die Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragt wird. Der Beschuldigte hat dagegen kein Antragsrecht auf Beiordnung.[8] Im Ermittlungsverfahren besteht zwar noch keine notwendige Verteidigung. Ist allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar, dass nach Anklageerhebung ein solcher gegeben sein wird, so soll die Finanzbehörde den Beschuldigten befragen, ob er selbst einen Verteidiger beauftragen möchte, oder aber die Bestellung eines Verteidigers beantragen.[9]

 

Rz. 35

Der Beschluss des Gerichts, der auf Antrag oder aber von Amts wegen ergehen kann, liegt in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Sind die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO erfüllt, bestellt der Vorsitzende des Gerichts, bei dem die Sache anhängig ist, entsprechend §§ 141142 StPO einen örtlichen Rechtsanwalt zum Verteidiger. Außer einem Rechtsanwalt darf lediglich ein Referendar, der mindestens 15 Monate seiner Ausbildung absolviert hat, als Pflichtverteidiger bestimmt werden.[10] Die Bestellung anderer Personen, also auch eines Steuerberaters, lässt das Gesetz nicht zu.

Die jeweiligen Entscheidungen des Gerichts können durch die Beschwerde[11] angefochten werden.

 

Rz. 36

Die Bestellung ist zurückzunehmen, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger wählt und dieser die Wahl auch annimmt.[12] Ausnahmsweise kann die Rücknahme unterbleiben, wenn mit einer nicht sachgerechten Verteidigung durch den Wahlverteidiger zu rechnen ist oder ein Großverfahren stattfindet, das wegen seines Umfangs oder seiner tatsächlichen bzw. rechtlichen Schwierigkeiten die Mitwirkung mehrerer Verteidiger erfordert.[13]

 

Rz. 36a

Im Steuerstrafverfahren der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 1 AO ist regelmäßig keine notwendige Verteidigung erforderlich, da regelmäßig nicht die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO erfüllt sind. Anderenfalls ist das Verfahren umgehend an die Staatsanwaltschaft abzugeben.[14] Allerdings kann sich im Laufe der Ermittlungen ergeben, dass der zunächst zugrunde gelegte Tatvorwurf erheblich schwerer ausfällt, weil entweder weitere Taten entdeckt werden oder die entdeckte Tat schwerwiegender ist. In diesem Fall müssen bereits im Ermittlungsverfahren die rechtlichen Folgen, seien es auch mittelbare wie ein etwaiges Berufsverbot, in den Fokus genommen und die Bestellung eines Pflichtverteidigers erwogen werden.[15] Wird im Ermittlungsverfahren trotz zu erwartender notwendiger Verteidigungslage kein Pflichtverteidiger bestellt, so hat dies regelmäßig nicht die Unverwertbarkeit einer Beschuldigtenvernehmung zur Folge. Etwas Anderes kann nur in bewussten und objektiv willkürlichen Fällen gelten.[16]

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