Rz. 20

Die besondere Rechtsstellung mit staatsanwaltschaftlicher Rechtsqualität wird für die Finanzbehörde in Abweichung von § 386 Abs. 2 Nr. 1 AO nach § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO ausnahmsweise auch dann begründet, wenn durch den die Tat bildenden Lebenssachverhalt sowohl eine Steuerstraftat als auch zugleich eine allgemeine Straftat gegeben sind, sofern diese Verletzung des allgemeinen Straftatbestands KiSt und andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen. Bei dieser zugleich mit der Steuerstraftat verwirklichten allgemeinen Straftat handelt es sich um einen Abgabenbetrug i. S. v. § 263 StGB. Bei dem Zusammentreffen der Straftaten wird i. d. R. Tateinheit i. S. v. § 52 StGB vorliegen, zwingend ist dies für die Ermittlungskompetenz jedoch nicht.[1] Maßgebend ist jedoch, dass eine Verbundenheit über eine prozessuale Tat i. S. d. § 264 StPO gegeben ist.[2]

 

Rz. 21

Wenn auch in § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO aufgelistet, spielt die Zuständigkeit der Finanzbehörde für die Verfolgung der Kirchensteuerverkürzung derzeit keine Rolle. Denn sämtliche Bundesländer haben in den Landeskirchensteuergesetzen die Anwendung der Vorschriften über Strafen und Bußgelder in der AO, mithin dessen 8. Teil, für nicht anwendbar erklärt.[3] Tatsächlich findet in der Praxis auch eine Ermittlung des Betrugs in Bezug auf die KiSt nicht statt.[4]

 

Rz. 22

Sobald sich der Verdacht der Steuerstraftat nicht erhärtet und das Verfahren in diesem Punkt eingestellt wird, verliert die Finanzbehörde ihre bis dahin bestehende selbständige Zuständigkeit für Straftaten i. S. d. § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO.[5] Da die Begleittat nach § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO an die Steuerstraftat anknüpft, wird dieser Fall in der Praxis grundsätzlich nicht zu Tage treten.[6]

 

Rz. 23

Die Erweiterung der selbstständigen finanzbehördlichen Ermittlungsbefugnis nach § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO bei Verdacht der Verkürzung öffentlich-rechtlicher Abgaben beruht ebenfalls darauf, dass dieser Abgabenbetrug i. S. v. § 263 StGB bzw. die Abgabenhinterziehung zumeist mit einer Steuerhinterziehung zusammentrifft. Die Kompetenzerweiterung tritt ein bei öffentlich-rechtlichen Abgaben, also Gebühren, Beiträgen oder Ausgleichs- bzw. Sonderabgaben, die nicht den Charakter einer Steuer i. S. v. § 3 AO haben. Die Bemessung dieser Abgaben muss anknüpfen an:

  • Besteuerungsgrundlagen, d. h. nach der Legaldefinition des § 199 Abs. 1 AO an tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind;
  • Steuermessbeträge, d. h. besondere Besteuerungsgrundlagen, die gesondert festgestellt werden;
  • Steuerbeträge an die festgesetzte Steuer.

In diesen Bereich fallen z. B. Umlagen oder Beiträge für Industrie-, Handels-, Handwerks- oder Landwirtschaftskammern.[7]

Bestehen Zweifel darüber, ob eine Tat i. S. d. § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegt, so dient die Finanzbehörde den Fall der Staatsanwaltschaft zur Evokation nach § 386 Abs. 4 AO an. Diese kann sodann entscheiden, ob die Zuständigkeit der Finanzbehörde bestehen bleibt oder sie den Fall an sich zieht.[8]

[1] A. A. Kretzschmar, DStR 1983, 641.
[2] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 386 AO Rz. 18.
[4] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 386 AO Rz. 21a.
[6] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 386 AO Rz. 21; a. A. Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 31, der diese erst nach Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der KiSt durch die Staatsanwaltschaft gem. § 154a Abs. 1 StPO und Übernahme des Verfahrens durch die Finanzbehörde gem. § 386 Abs. 4 Nr. 2 AO begründet sieht.
[7] Peters, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 81; einschränkend Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 386 AO Rz. 16.

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