Rz. 6

§ 386 AO regelt die Rechtsstellung der Finanzbehörde im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten.[1] Die Vorschrift betrifft hier aber nur das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bis zu dessen Abschluss.[2] Die Rechtsstellung im gerichtlichen Teil des Strafverfahrens, also im Zwischen- und Hauptverfahren des Strafgerichts, wird in §§ 406, 407 AO spezifiziert.

 

Rz. 7

Ausgangspunkt für die finanzbehördliche Rechtsstellung ist, dass im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft[3] primäres Strafverfolgungsorgan ist. Die Staatsanwaltschaft ist gegenüber dem Gericht, bei dem sie nach § 141 GVG eingerichtet ist, eine selbstständige Behörde.[4] Sie hat nach § 152 Abs. 1 StPO grundsätzlich das strafrechtliche Ermittlungs- bzw. Anklagemonopol.[5] Die Staatsanwaltschaft bedient sich zur Erledigung ihrer Ermittlungsaufgabe i. d. R. verschiedener Hilfsorgane mit polizeilichem Rechtsstatus[6], wozu gem. § 404 S. 2 AO auch die Steuerfahndung und die Behörden des Zollfahndungsdienstes gehören. Diesen gegenüber obliegt ihr die Verfahrensleitung, sie ist Herrin des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.[7]

 

Rz. 8

Die staatsanwaltschaftliche Rechtsstellung wird durch die finanzbehördliche Ermittlungsbefugnis im Strafverfahren ergänzt. Die allgemeine Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO[8] wird nur dann begründet, wenn die rechtliche Würdigung des erkannten Sachverhalts den Verdacht einer Steuerstraftat bzw. einer rechtlich gleichgestellten allgemeinen Straftat ergibt. Fehlt diese Voraussetzung, so hat die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO, vorbehaltlich sichernder Eilmaßnahmen, keine strafrechtliche Ermittlungskompetenz. Die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 S. 2 AO erlangt nicht ihre Doppelfunktion, sondern ist lediglich steuerliches Verwaltungsorgan.[9]

 

Rz. 9

Sofern der Verdacht einer Steuerstraftat vorliegt, wird die allgemeine Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde begründet.[10] Hierauf aufbauend ergibt sich erst die selbstständige Ermittlungskompetenz.[11]

 

Rz. 9a

Kommt die Finanzbehörde ihrer Pflicht zur Ermittlung bei einer verfolgbaren Tat nicht nach, so kann darin eine Strafvereitelung oder Strafvereitelung im Amt liegen.[12] Gleiches gilt für Finanzbeamte der Außenprüfung, die zwar den Anfangsverdacht einer Steuerstraftat erkennen, diesen aber entgegen § 10 BpO nicht der für die Verfolgung dieser Straftat zuständigen Stelle melden.[13] Der Verdacht einer Strafvereitelung (im Amt) kann sich bereits bei einer verschuldeten Verzögerung der strafrechtlichen Verfolgung um geraume Zeit ergeben.[14] Dafür muss die Verzögerung mindestens drei Wochen dauern.[15]

 

Rz. 10

Begründet der Verdacht einer Steuerstraftat bzw. einer rechtlich gleichgestellten allgemeinen Straftat die strafrechtliche Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde, so erlangt diese als Folge des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmonopols kraft Gesetzes die Rechtsstellung einer polizeilichen Behörde.[16] Die Finanzbehörde wird grundsätzlich Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft mit den durch §§ 402, 403 AO modifizierten Rechten.[17] Soweit die Finanzbehörde i. S. d. §§ 386 Abs. 1, 402, 403 AO in dem von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren tätig wird[18], obliegt dieser die fachliche Aufsicht, da sie Herrin des Strafverfahrens ist. Die Finanzbehörde hat insoweit lediglich eine rechtlich unselbstständige strafrechtliche Ermittlungsbefugnis.

Erst durch § 386 Abs. 2 AO erlangt die Finanzbehörde ihre selbständige Stellung als zuständige Strafverfolgungsbehörde.

[1] Klaproth, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 385 AO Rz. 3; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 386 Rz. 1.
[2] Überblick über die Gliederung des Strafverfahrens: Klaproth, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Vor §§ 385408 AO Rz. 2ff.
[5] Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 152 StPO Rz. 1.
[6] Mayer, in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 152 GVG Rz. 1
[7] BVerfG v. 26.11.1975, 2 BvR 883/75, NJW 1976, 231.
[8] Zur strafprozessualen Ermittlungsbefugnis der Steuer- und Zollfahndung Klaproth, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 404 AO Rz. 1, 11.
[10] Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 22.
[11] S. Rz. 18a; OLG Braunschweig v. 24.11.1997, Ss (S) 70/97, wistra 1998, 71; Hardtke/Westphal, wistra 1996, 91; Wannemacher/Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 386 AO Rz. 5.
[12] Zur Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen in diesen Fällen Schützenberg, StBP 2020, 367.
[13] LG Stuttgart v. 24.3.2020, 61 Ns 142 Js 114222/16, AO-StB 2021, 11.
[15] Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl. 2019, § 258 StGB Rz. 14 m. w. N.
[17] OLG Braunschweig v. 24.11.1997, Ss (S) 79/97, wistra 1998, 71; Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 21; Hardtke/Westphal, wistra 1996, 91.

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