Rz. 463

Erfolgt die Anzeige ordnungsgemäß und rechtzeitig durch einen Anzeigeverpflichteten, so wird ein "Dritter", der die Erklärung i. S. d. § 153 Abs. 1 AO unrichtig, unvollständig oder überhaupt nicht abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt. Die Erfüllung der Anzeigepflicht stellt somit keine Selbstanzeige dar, sondern sie wirkt zugunsten dritter Personen. Daraus ergibt sich einerseits, dass der Dritte zu den Anzeigepflichtigen i. S. d. § 153 AO gehören muss und er sich andererseits durch die Verletzung dieser Anzeigepflicht strafbar gemacht haben muss.[1] Problematisch ist allerdings, welches die "in § 153 AO bezeichneten Erklärungen" sind und darauf aufbauend, wer als "Dritter" i. S. d. § 371 Abs. 4 AO anzusehen ist bzw. welche Personen mit welchen Taten von der Wirkung der Fremdanzeige erfasst werden.

 

Rz. 464

Zur Verdeutlichung der Problematik soll ein Beispiel dienen:

 
Praxis-Beispiel

G1 hat im Rahmen der Geschäftsführung einer GmbH eine Steuerhinterziehung begangen. Ihm folgt G2 nach, der diese Tat erkennt, ohne etwas zu unternehmen. Wenig später übernimmt G3 die Geschäftsführung und erkennt – während einer die Vorfälle betreffenden Außenprüfung – die Fehler von G1. Er erstattet die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß.

In diesem Fall war G3 als Organ der GmbH[2] gem. § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO verpflichtet, die Steuererklärung zu berichtigen. Dies hat er getan. Selbst wenn er insoweit im Namen von G1 und G2 gehandelt haben sollte, kann dies jedoch für diese nicht zu einer strafbefreienden Selbstanzeige führen, da diese wegen der laufenden Außenprüfung gesperrt ist.[3]

G2 hatte mit dem Unterlassen der entsprechenden Berichtigung eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen[4] begangen. Die Berichtigungserklärung von G3 wirkt gem. § 371 Abs. 4 AO jedoch zugunsten des G2, wenn diesem oder seinem Vertreter nicht schon die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Es besteht ein Verfahrenshindernis.

Umstritten ist hingegen, ob die Berichtigungserklärung des G3 auch dem G1 zugute kommt. Dies hängt davon ab, wie die Formulierung "die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen ... hat" zu verstehen ist. Teilweise wird die Auffassung vertreten, damit sei das Unterlassen einer Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 AO gemeint. Dementsprechend käme § 371 Abs. 4 AO nur demjenigen zugute, der eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen unter Verletzung des § 153 AO begangen hat[5], sodass G1 noch verfolgt werden könnte.

Eine andere Ansicht geht hingegen davon aus, dass "Erklärung" i. S. d. § 371 Abs. 4 AO (auch) die ursprüngliche Steuererklärung ist.[6] Insoweit hat aber auch G1 unrichtige Angaben gemacht. Auch in seiner Person bestünde somit ein Verfahrenshindernis.

Ausgehend von den heute noch vertretenen Ansichten ist somit die Frage umstritten, ob auch für den "Ursprungshinterzieher" § 371 Abs. 4 AO eingreift. Für die Einbeziehung des Ursprungshinterziehers[7] wird angeführt, dass die Begriffe "Anzeige" und "Erklärung" in § 371 Abs. 4 AO und § 153 AO dieselbe Bedeutung aufwiesen und beide Normen exakt zwischen den Begriffen unterschieden. Dementsprechend sei auch die fehlerhafte Ursprungserklärung von § 371 Abs. 4 AO umfasst, da der Begriff der Erklärung in § 153 AO für diese reserviert sei. Die bloße Anzeige nach § 153 AO hingegen könne nicht unrichtig oder unvollständig abgegeben werden, sodass der Wortlaut des § 371 Abs. 4 S. 1 AO nicht nur auf G2 passe, der pflichtwidrig lediglich die Anzeige unterlassen hat. Der Wortlaut passe vielmehr auch auf den Ursprungshinterzieher. Darüber hinaus spreche auch der fiskalische Zweck der Norm für diese weite Auslegung, denn letztendlich sei für den Fiskus die Ursache der Verkürzung unerheblich, solange über die Regelungen der Fremd- und Selbstanzeige letztendlich bisher unbekannte Steuerquellen erschlossen werden.

 

Rz. 465

Die dargestellten Argumente wissen jedoch nicht zu überzeugen.[8] Einerseits werden die Begriffe "Erklärung" und "Anzeige" in § 153 AO bzw. § 371 Abs. 4 AO nicht deckungsgleich gebraucht.[9] Es handelt sich hier vielmehr um einen Fall der sog. Relativität der Rechtsbegriffe, d. h. für die Auslegung eines Begriffs ist dessen Funktion in der jeweiligen Norm maßgeblich. Wären die Begriffe deckungsgleich, so würde die Konstellation, dass "ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen … hat" ins Leere laufen, da § 153 AO gerade ausdrücklich nicht den Fall der Nichtabgabe aufgreift (vgl. Rz. 456). Darüber hinaus würde eine deckungsgleiche Auslegung ausschließlich auf den Fall des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO abstellen, die weiteren Anzeigepflichten in den Abs. 2 und 3 jedoch nicht berücksichtigen. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, auf die ordnungsgemäße und wahrheitsgemäße Ursprungserklärung zu verweisen, so hätte er auch nicht auf § 153 AO, sondern auf die §§ 149, 150 AO verweisen müssen.[10]

Weiterhin ist die Ansicht, die vom deckungsgleichen Gebrauc...

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