Rz. 318

Zweifelhaft ist dagegen die Nachentrichtungspflicht, wenn sich die jeweilige Steuerhinterziehung in einem Steuerpflichtverhältnis[1] auswirkt, an dem der Tatbeteiligte nicht Beteiligter i. S. v. § 78 AO ist, er also auch nicht Steuerschuldner des hinterzogenen Betrags ist, sondern nur als Haftungsschuldner nach §§ 70, 71 AO in Betracht kommt. Ausgehend vom Wortlaut des § 371 Abs. 3 S. 1 AO und der Systematik des § 370 AO wird einmal die – für den Tatbeteiligten und aus Sicht der Verteidigung sehr günstige, aber unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht in jedem Fall befriedigende – Ansicht vertreten, dass ausschließlich ein unmittelbarer steuerlicher Vorteil aus der Tat die Nachentrichtungspflicht begründen kann.[2]

 
Praxis-Beispiel

Der Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer einer Einmann-GmbH hinterzieht zugunsten der GmbH betriebliche Steuern. Nach ausschließlich steuerlicher Betrachtungsweise hat er selbst mangels formaler Steuerschuld keinen Steuervorteil erlangt und ist demgemäß insoweit allein durch die Selbstanzeigehandlung nach § 371 Abs. 1 AO straffrei.

 

Rz. 319

Demgegenüber geht die h. M. von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus. Nachentrichtungspflichtig ist danach derjenige, der aus der Tat einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, dem die Tat wirtschaftlich zugutegekommen ist.[3]

Damit die Nachentrichtungspflicht jedoch nicht jeglichen, auch nur mittelbaren Vermögensvorteil erfasst und dadurch völlig ausufert[4], kann jedoch nicht jeder Vorteil diese Pflicht begründen. Folglich ist nur derjenige nachentrichtungspflichtig, der aus der Tat einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat.[5]

Hierbei ist es unerheblich, ob dieser wirtschaftliche Vorteil vom begünstigten Stpfl. freiwillig eingeräumt worden ist oder der Selbstanzeigende den Vorteil ohne Wissen oder gegen den Willen des steuerlichen Nutznießers der Tat erlangt hat. Der Tatbeteiligte hat einen konkreten wirtschaftlichen Vorteil erlangt, wenn der Vorteil den Gegenwert des Steuervorteils verkörpert.[6]

 

Rz. 320

Für die Ansicht der h. M. spricht neben dem am obigen Beispiel (vgl. Rz. 318) deutlich werdenden Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit auch der Wille des Gesetzgebers, der das Ziel verfolgte, die Straffreiheit von der Nachentrichtung durch denjenigen Tatbeteiligten abhängig zu machen, der nicht selbst Steuerschuldner ist, aber von der Tat wirtschaftlich profitierte.[7]

 

Rz. 321

Danach ist im Hinblick auf die Hinterziehung betrieblicher Steuern maßgeblich, ob der Tatbeteiligte in irgendeiner Form am Gewinn beteiligt ist.[8] Beispielhaft lässt sich dies an der Person eines Geschäftsführers verdeutlichen:

  • Hinterzieht ein angestellter Geschäftsführer einer GmbH, der nicht am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist und keine gewinnabhängigen Leistungen erhält, zugunsten der GmbH Steuern, um deren wirtschaftlichen Zusammenbruch aufzuschieben und infolgedessen seinen Arbeitsplatz länger zu behalten, handelt es sich nur um einen mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil, sodass Straffreiheit allein durch die Berichtigung der falschen Erklärung eintritt.[9] Dasselbe gilt, wenn der Geschäftsführer z. B. die Steuern hinterzieht, um anderen Personen zu imponieren.
  • Handelt es sich hingegen um den geschäftsführenden Gesellschafter einer Einmann-GmbH, der zum Vorteil der Gesellschaft Steuern hinterzogen hat, ist er zwar nicht Steuerschuldner, dennoch handelte er durch die Mehrung des ihm wirtschaftlich zustehenden Gesellschaftsvermögens zum unmittelbaren eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Seine Selbstanzeige führt folglich nur im Fall einer fristgerechten Nachentrichtung zur Straffreiheit.[10]
  • Einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil durch eine Steuerhinterziehung zugunsten der Gesellschaft erlangt auch der Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG, der das wesentliche Stammkapital der GmbH hält und alleiniger Kommanditist der KG ist.[11] Wird die Gesellschaft von mehreren gehalten, entspricht der unmittelbare wirtschaftliche Vorteil dem prozentualen Anteil.[12]
  • Dasselbe gilt auch außerhalb einer Einmann-GmbH für den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH.[13]
  • Steht dem Tatbeteiligten jedoch kein positives Vermögen mehr an der Gesellschaft zu, da sie überschuldet ist, und ändert sich daran nichts durch die Steuerhinterziehung, so erlangt er durch die Tat auch keinen wirtschaftlichen Vorteil, sofern dadurch nicht der Umfang der Haftung nach §§ 32a, 32b GmbHG reduziert wird.[14]
 

Rz. 322

Allein die Tatsache einer sich aus der Steuerhinterziehung ergebenden möglichen Inhaftungnahme nach §§ 69, 71 AO – insb. für den Geschäftsführer – begründet hingegen keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil.[15]

 

Rz. 323

Handelt es sich um den Gesellschafter einer Personengesellschaft, so erlangt auch er durch die Hinterziehung von Unternehmenssteuern zugunsten der Gesellschaft einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil, da ihm bei wirtschaftlicher Betrachtung das Vermögen der Gesellschaft zusteht und er nach § 128 HGB unbeschränkt persönlich haftet. Ein...

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