Rz. 212

An welchem Ort die Amtsperson erscheinen muss, ist von § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO nicht geregelt, aber aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich, dass es sich um den Prüfungs- oder Ermittlungsort handeln muss, also i. d. R. die Wohnung oder die Betriebsräume des Stpfl.[1] Ist ein geeigneter Geschäftsraum vorhanden, so muss nach dem Wortlaut des § 200 Abs. 2 AO und dem Sinn und Zweck der Außenprüfung die Außenprüfung dort stattfinden. Für den Fall, dass keine geeigneten Geschäftsräume vorhanden sind, ist in den Wohnräumen des Stpfl. oder an Amtsstelle zu prüfen. Nur im Ausnahmefall und nur auf Antrag kommen davon abweichende Prüfungsorte in Betracht.[2] Wird ein solcher abweichender Ort – z. B. das Büro des Steuerberaters oder Insolvenzverwalters – bestimmt, so tritt die Sperrwirkung ein, sobald der Amtsträger in Prüfungsabsicht an diesem Ort erscheint.[3]

 

Rz. 213

Hat der Beteiligte mehrere Betriebe oder Betriebsstätten, die aber als steuerrechtliche Einheit zu sehen sind, so begründet das Erscheinen in einem Betrieb oder einer Betriebsstätte die Ausschlusswirkung, wenn sich nicht aus der Prüfungsanordnung eine Beschränkung ergibt.[4]

Sofern es sich jedoch um verschiedene Rechtssubjekte handelt, tritt die Sperrwirkung nur hinsichtlich derjenigen Steuersubjekte ein, die nach der Prüfungsanordnung geprüft werden. Daraus ergibt sich für die Konzernprüfung, dass die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO eintritt, wenn die Prüfungsanordnung sich auch gegen die einzelnen Unternehmen (Mutter- und Tochtergesellschaften sowie gleichberechtigte Konzerngesellschaften) richtet, sodass in diesem Fall das Erscheinen bei der Konzernspitze für eine umfassende Sperrwirkung ausreicht.[5] Von der Prüfungsanordnung nicht umfasste Konzernmitglieder sind jedoch aufgrund ihrer selbstständigen Steuersubjektsqualität nicht von der Sperrwirkung umfasst.

 

Rz. 214

Die Herrschaftssphäre des Beteiligten, in der das Erscheinen stattfinden muss, beginnt an der Grenze des befriedeten Besitztums. Trifft oder sieht der Beteiligte den Amtsträger außerhalb seiner Herrschaftssphäre, etwa auf dem Weg zum Prüfungsort, so ist noch kein Erscheinen gegeben.[6]

 

Rz. 215

Umstritten ist die Anwendbarkeit des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO allerdings für den Fall, dass die Prüfung nicht in der Herrschaftssphäre des Beteiligten stattfindet, sondern an Amtsstelle der Finanzbehörde. Insoweit wird teilweise vertreten, dass die Ausschlusswirkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO in diesem Fall gar nicht eingreift, da der Prüfer nicht zur Prüfung (beim Stpfl.) erschienen sei.[7] Nach anderer Ansicht erlangen die Räumlichkeiten des FA dagegen die Qualität des Prüfungsorts, sobald der Betroffene mit seinen Unterlagen das Dienstzimmer im FA betritt, sodass ab diesem Zeitpunkt auch die Ausschlusswirkung eingreift.[8] Richtigerweise dürfte davon auszugehen sein, dass der Betriebsprüfer die Prüfung an Amtsstelle beginnt, indem er die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Vorbereitung und damit zur Durchführung der Prüfung auswertet. Darin liegt bereits eine Prüfungshandlung, denn das Aktenstudium dient der Prüfung konkreter Verhältnisse des zu prüfenden Betriebs. Somit ist die Handlung eine qualifizierte Ermittlungshandlung, die bereits auf die Ermittlung oder Überprüfung von Besteuerungsgrundlagen gerichtet ist, und damit die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO auslöst.[9] Dasselbe gilt für den Fall, dass der Betriebsprüfer an Amtsstelle anfängt, ihm vom Stpfl. oder seinem Vertreter vorab übersandte Daten-CDs auszuwerten.

[1] Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 371 AO Rz. 21b; Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 216; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 455.
[3] BFH v. 7.10.1997, VIII R 52/94, BFH/NV 1998, 1059, 1061; Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 157; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 227; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 455; Braun, PStR 2001, 34, 36; Burkhard, wistra 1998, 218; Lüttger, StB 1993, 376.
[4] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 123; Kemper, in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, 109. Lfg. 10/17, § 371 AO Rz. 251; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 460f.
[5] Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 155; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 123; differenzierend Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 231; a.  A. Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 219; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 462.
[6] Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 150; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 122; Joecks, in Joecks/Jäger/Ran...

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