Rz. 153

§ 370 Abs. 3 AO droht, vergleichbar mit dem Betrug nach § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB, für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung einen gegenüber dem Regelstrafrahmen (s. Rz. 176) erhöhten Strafrahmen an (s. Rz. 184). Die Vorschrift schafft keinen besonderen Straftatbestand, verändert gem. § 12 Abs. 3 StGB auch nicht den Deliktscharakter als Vergehen[1], sondern stellt lediglich eine Erweiterung des Strafrahmens dar[2]. Bei den genannten Umständen handelt es sich nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern um Strafzumessungsmerkmale[3]. Zum Strafrahmen s. Rz. 184.

 

Rz. 154

Die Erweiterung des Strafrahmens gilt für jeden Tatbeteiligten (s. Rz. 11), wenn in seiner Person die Merkmale erfüllt sind und der Tatbeitrag besonders schwerwiegend ist[4]. Diese individuelle Betrachtungsweise bewirkt, dass bei der Gesamtwürdigung des Tatbeitrags und des Tatbeteiligten die Strafe für den Gehilfen (s. Rz. 30) nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann[5].

Für die Bewertung und Gewichtung einer Teilnahmehandlung als besonders schweren Fall kommt es primär auf den Unwert des von dem Teilnehmer (s. Rz. 26) erbrachten Tatbeitrags und seine Schuld (s. Rz. 196) an[6]. Erst in zweiter Linie ist für die Bewertung das mit der Haupttat verwirklichte Unrecht maßgeblich[7].

 

Rz. 155

§ 370 Abs. 3 S. 2 AO nennt Regelbeispiele[8], wann ein besonders schwerer Fall i. S. v. § 370 Abs. 3 S. 1 AO grundsätzlich vorliegt, also eine im besonderen Maße strafwürdige Art der Steuerhinterziehung (s. Rz. 155) nur durch eine über den Regelstrafrahmen hinausgehende Strafe angemessen geahndet werden kann[9]. Diese Regelbeispiele sind aber nicht abschließend. Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 Abs. 3 AO liegt darüber hinaus auch dann vor, wenn nach dem gesamten Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit eine besondere kriminelle Energie entfaltet worden ist, die vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle derart abweicht, dass der Regelstrafrahmen (s. Rz. 176) als Ahndungsfolge nicht ausreichend erscheint[10].

 

Rz. 156

Umgekehrt muss bei Vorliegen der Merkmale die Anwendung des höheren Strafrahmens zwar "in der Regel", nicht aber zwingend erfolgen[11]. Entscheidend bleibt die Bewertung der gesamten strafzumessungserheblichen Tatumstände (s. Rz. 196ff.) einschließlich der Strafmilderungsgründe[12]. Nach BGH v. 2.12.2008, 1 StR 416/08[13] soll die Regelwirkung dann entfallen, wenn strafzumessungserhebliche Tatumstände jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie die Regelwirkung entkräften. Dies ist nach der o. g. Entscheidung der Fall, wenn in der Tathandlung oder in der Person des Tatbeteiligten Umstände vorliegen, die das Unrecht der Tat oder die Schuld deutlich vom Regelfall abheben, sodass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint. Den benannten Strafschärfungsgründen kommt somit nur eine Indizwirkung für das Vorliegen eines besonders schweren Falles zu, die innerhalb der stets vorzunehmenden Gesamtwürdigung der strafzumessungsrelevanten Umstände entkräftet werden kann.

 

Rz. 156a

Der Strafrahmen des Versuchs der Steuerhinterziehung[14] ergibt sich gem. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB aus dem gemilderten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 S. 1 AO, sofern der Täter sowohl zur Verwirklichung des Tatbestands als auch des Regelbeispiels unmittelbar angesetzt hat[15].

 

Rz. 157

Nach § 376 Abs. 1 AO verlängert sich die Strafverfolgungsverjährung auf 10 Jahre. Allerdings nur bei Vorliegen eines Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 S. 2 AO (s. § 376 AO Rz. 3).

[1] Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 12 StGB Rz. 11.
[2] BGH v. 24.8.1982, 1 StR 435/82, wistra 1982, 230; Rolletschke, in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, § 370 AO Rz. 160.
[4] BGH v. 4.1.1983, 5 StR 737/82, wistra 1983, 116; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 1094.
[5] BGH v. 6.6.1989, 1 StR 221/89, wistra 1989, 267.
[9] BGH v. 12.10.1988, 3 StR 194/88, HFR 1990, 98.
[10] BGH v. 22.6.1990, 3 StR 471/89, HFR 1991, 437; vgl. für § 263 Abs. 3 StGB; BGH v. 30.6.1981, 1 StR 266/81, NStZ 1981, 391 m. w. N.; BGH v. 1.12.1993, 2 StR 101/93, wistra 1994, 100; für § 370 Abs. 3: z. B. BGH v. 28.9.1983, 3 StR 280/83, wistra 1984, 27; BGH v. 13.6.1985, 4 StR 219/85, HFR 1986, 426; BGH v. 2.12.2008, 1 StR 416/08, BFH/NV 2009, 536, Tz. 49.
[11] Meyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 370 AO Rz. 187.
[12] BGH v. 22.6.1990, 3 StR 471/89, HFR 1991, 437; BGH v. 11.3.1997, 1 StR 573/96, wistra 1997, 181; BGH v. 2.12.2008, 1 StR 416/08, BFH/NV 2009, 536, Tz. 49.
[13] BFH/NV 2009, 536, Rz. 50 unter Hinweis auf die st. Rspr. des BGH.

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