Rz. 25

Nach § 362 Abs. 1a AO kann, soweit Besteuerungsgrundlagen für ein Verständigungs- oder ein Schiedsverfahren nach einem Vertrag i. S. d. § 2 AO von Bedeutung sein können, der Einspruch hierauf begrenzt zurückgenommen werden. Die Vorschrift lässt also in diesem Fall ausnahmsweise eine Teilrücknahme des Einspruchs zu.

 

Rz. 26

Bei den Verträgen i. S. d. § 2 AO handelt es sich um völkerrechtliche Verträge, also insbesondere Doppelbesteuerungsabkommen oder das Übereinkommen 90/436/EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen.[1] So enthalten z. B. Art. 25 des OECD-Musterabkommens, das den meisten der von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen zugrunde liegt, und Art. 6ff. der EU-Schiedskonvention Bestimmungen, nach denen die beteiligten Vertragsstaaten auf Antrag des Stpfl. im Falle von Differenzen bei der Auslegung oder Anwendung der jeweiligen Verträge eine Einigung herbeiführen können.[2] Regelmäßig können die zwischenstaatlichen Verständigungs- und Schiedsverfahren neben dem innerstaatlichen Einspruchs- oder Klageverfahren durchgeführt werden.[3] Die im Rahmen solcher Verständigungs- und Schlichtungsverfahren getroffenen Vereinbarungen stehen jedoch regelmäßig unter dem Vorbehalt, dass der betroffene Stpfl. auf die Einlegung eines Einspruchs oder die Erhebung einer Klage verzichtet oder einen bereits eingelegten Einspruch oder eine bereits erhobene Klage zurücknimmt.[4]

Um einerseits die endgültige Wirksamkeit der Vereinbarungen nicht durch die langen Bearbeitungszeiten von Einspruchs-, Klage- und Revisionsverfahren zu verzögern, andererseits aber den Rechtsschutz bezüglich anderer, die Verständigungs- oder Schlichtungsvereinbarung nicht betreffender Streitfragen zu gewährleisten, sieht § 362 Abs. 1a AO in solchen Fällen ausnahmsweise die teilweise Rücknahme des eingelegten Einspruchs vor.[5]

 

Rz. 27

Die Teilrücknahme des Einspruchs ist nach § 362 Abs. 1a AO nur möglich, "soweit" Besteuerungsgrundlagen für das Verständigungs- oder Schiedsverfahren von Bedeutung sein können. Sie ist also gegenständlich begrenzt und ausschließlich hinsichtlich der für das Verständigungs- oder Schiedsverfahren bedeutsamen Besteuerungsgrundlagen zulässig.[6]

 

Rz. 28

Nach § 357 Abs. 1a S. 2 AO, auf den § 362 Abs. 1a S. 2 AO verweist, ist die "Besteuerungsgrundlage, auf die sich der Verzicht beziehen soll, genau zu bezeichnen". Fehlt es an einer zweifelsfreien Bestimmung der Besteuerungsgrundlage, ist entsprechend die Teilrücknahme nicht wirksam.[7]

[1] EU-Schiedskonvention v. 23.7.1990, BGBl II 1993,1308, und BGBl II 1995, 84.
[2] S. dazu BMF v. 27.8.2021, IV B 3 S-1304/21, BStBl I 2021, 149.
[3] Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl. 2023, Rz. 19.93; Eilers/Drüen, in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, OECD-MA, Art. 25 OECD-MA Rz. 35.
[4] BMF v. 27.8.2021, IV B 3 S-1304/21, BStBl I 2021, 1495, Rz. 84.
[5] BT-Drs. 12/5630, 105.
[6] BFH v. 6.9.2006, XI R 51/05, BStBl II 2007, 83, zum teilweisen Einspruchsverzicht nach § 354 Abs. 1 AO.
[7] Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 362 Rz. 7; Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 362 Rz. 23.

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