Rz. 86

Alternativ zur AdV bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts soll nach § 361 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AO und § 69 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 FGO diese auch dann erfolgen, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Da nur ein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden soll, muss demgemäß die unbillige Härte gerade darin liegen, dass der Verwaltungsakt vor Unanfechtbarkeit vollzogen werden soll und dadurch ein nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht bzw. die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers gefährdet wird.[1]

Nach der Rspr. des BFH soll eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dann gegeben sein, wenn durch die Vollziehung des Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Leistung hinausgehen, und dadurch dem Stpfl. ein auch durch die spätere Rückzahlung nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt wird, etwa wenn durch die vorzeitige Leistung die Insolvenz herbeigeführt oder sonst die wirtschaftliche Existenz gefährdet würde.[2] Folglich ist eine unbillige Härte der Vollziehung beispielsweise gegeben, wenn durch einen vorübergehenden Aufschub der Vollstreckung eine Insolvenz vermieden werden kann. Umgekehrt ist dieser Aussetzungsgrund jedoch nicht gegeben, wenn sich hierdurch die Insolvenz nicht vermeiden lässt bzw. noch andere beträchtliche Verbindlichkeiten vorliegen, die zu wirtschaftlicher Not führen.[3]

 

Rz. 86a

Es genügt in diesem Zusammenhang nicht, allgemein auf die angespannte wirtschaftliche Situation des Antragstellers hinzuweisen, vielmehr ist schlüssig seine Notsituation bei der Antragstellung darzulegen und glaubhaft zu machen.[4] Der Antragsteller hat also seine wirtschaftliche Lage detailliert vorzutragen und glaubhaft zu machen. Die unsubstantiierte Behauptung der Existenzgefährdung ist nicht ausreichend.[5]

Zudem ist auch zu beachten, dass die Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos zur Vermeidung des Eintritts einer unbilligen Härte führen kann.[6] Somit sind immer die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls in den Blick zu nehmen, wobei es auf Einkommen, Liquidität, Vermögenswerte und Bonität ankommt.[7]

 

Rz. 86b

Darüber hinaus soll die grundsätzliche Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten verhindern, dass Einspruch und Klage nur zu dem Zweck eingelegt werden, die Leistungspflicht hinauszuzögern (s. Rz. 4). Demgemäß ist auch nach übereinstimmender Rspr.[8] die AdV wegen unbilliger Härte nur vertretbar, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Sind solche Zweifel ausgeschlossen oder fast ausgeschlossen, kommt auch eine AdV wegen unbilliger Härte der Vollziehung nicht in Betracht (Wechselwirkung zwischen beiden Aussetzungsgründen).[9]

 

Rz. 87

Entgegen dem Wortlaut ist vom Zweck der Vorschrift her die AdV bei unbilliger Härte mithin keine echte Alternative zur AdV wegen ernstlicher Zweifel.

 

Rz. 88

Abschließend sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass aber eine unbillige Härte in der Verwertung einer Lebensversicherung zum Rückkaufswert gesehen werden kann da dies zu einem wirtschaftlichen Schaden führen würde, der bei Rückzahlung der eingezogenen Beträge im Fall des Erfolgs der Hauptsache nicht ausgeglichen würde.[10]

[4] Kraus, NWB 2009, 853, 858; Dißars, in Zugmaier/Nöcker/Dißars, AO, § 361 AO Rz. 25.
[7] Dißars, in Zugmaier/Nöcker/Dißars, AO, § 361 AO Rz. 25; Kraus, NWB 2009, 853, 859 wobei es ggf. sinnvoller sein kann, Stundung nach § 222 AO zu beantragen.
[8] BFH v. 19.4.1968, IV B 3/66, BStBl II 1968, 538 m. w. N.; BFH v. 9.1.1990, VII B 127/89, BFH/NV 1990, 474; BFH v. 22.6.1995, X S 5/95, BFH/NV 1995, 1082; Dißars, in Zugmaier/Nöcker/Dißars, AO, § 361 AO Rz. 8; Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 66.

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