Rz. 47

Das AdV-Verfahren ist ein auf eine vorläufige Entscheidung (s. Rz. 18) gerichtetes Nebenverfahren, zu dem auf eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache gerichteten Einspruchs- bzw. Klageverfahren.[1] Von diesem Hauptverfahren ergibt sich aber nicht nur eine inhaltliche (s. Rz. 80), sondern auch eine verfahrensmäßige Abhängigkeit. Der rechtskräftige Abschluss des Hauptverfahrens führt notwendig zur Unzulässigkeit des AdV-Verfahrens (s. Rz. 22a, 64).

 

Rz. 48

Das AdV-Verfahren ist grundsätzlich ein rechtlich selbstständiges Verfahren[2], für das die Regelungen des Einspruchsverfahrens entsprechend bis auf § 360, 355 und 363 AO (s. Rz. 49) anzuwenden sind.[3] Eine Erörterung des Sach- und Rechtsstands gem. § 364a AO ist allerdings auch im AdV-Verfahren möglich (Gewährung rechtlichen Gehörs).[4]

Über das AdV-Verfahren ergeht eine gesonderte Entscheidung (s. Rz. 9), sofern der Antrag nicht zurückgenommen wird.[5] Aus der in Bezug auf das Hauptsacheverfahren unterschiedlichen Zielsetzung (s. Rz. 1) ergibt sich, dass der Inhalt und die Erörterung in der Aussetzungsentscheidung (s. Rz. 53) – selbst bei exakter Prüfung der Sach- und Rechtslage (s. Rz. 53) – keine Bindungswirkung für die Entscheidung in der Hauptsache haben. Die AdV schafft auch keinen Vertrauenstatbestand, der die Behörde hindert, den Einspruch später als unzulässig zu verwerfen.[6]

 

Rz. 49

Aufgrund des Eilcharakters des AdV-Verfahrens (s. Rz. 50) und der fehlenden Bindungswirkung der AdV-Entscheidung in der Hauptsache (s. Rz. 48) ist eine Aussetzung oder ein Ruhen des Verfahrens nach § 363 AO regelmäßig ausgeschlossen.[7]

 

Rz. 49a

Wird während des anhängigen AdV-Verfahrens der angefochtene Verwaltungsakt von der Behörde geändert oder ersetzt, gilt § 365 Abs. 3 AO bzw. § 68 FGO (entsprechend), da das AdV-Verfahren seinerseits von einem Einspruchs- bzw. Klageverfahren abhängig ist. Der ändernde oder ersetzende Verwaltungsakt wird kraft Gesetzes somit auch Gegenstand des AdV-Verfahrens.[8]

 

Rz. 50

Mit der AdV wird eine schnelle vorläufige Entscheidung begehrt. Das Verfahren hat Eilcharakter. Die Finanzbehörde hat unverzüglich zu entscheiden (s. Rz. 55). Die Untätigkeit eröffnet die Antragsbefugnis beim FG (s. Rz. 15).

 

Rz. 51

Dem Eilbedürfnis wird dadurch Rechnung getragen, dass das AdV-Verfahren als sog. "summarisches" Verfahren gestaltet ist, das verfahrensmäßig vereinfacht und mit dem Ziel einer schnellen, aber nur vorläufigen Entscheidung geführt wird.[9]

 

Rz. 52

Die Vereinfachung des Verfahrens bezieht sich nicht auf wesentliche Verfahrensgrundsätze. So besteht auch im AdV-Verfahren ein Anspruch auf rechtliches Gehör.[10] Die Vereinfachung besteht auch nicht für die Sachentscheidungsvoraussetzungen. Diese unterliegen nicht der summarischen Prüfung.[11]

 

Rz. 53

Auch im AdV-Verfahren gilt für die Behörde der Untersuchungsgrundsatz.[12] Die Erforschung des Sachverhalts muss aber nur soweit gehen, dass über das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes entschieden werden kann.[13] Weitergehende Ermittlungen verstoßen gegen den Eilcharakter des AdV-Verfahrens (s. Rz. 50). Die Behörde ist insbesondere zu einer umfangreichen Beweisaufnahme nicht verpflichtet, somit ist insofern eine Entscheidung nach Aktenlage möglich.[14] Eine Zeugenvernehmung kommt nicht in Betracht.[15] Die abschließende Sachverhaltsaufklärung bleibt dem Einspruchsverfahren nach § 367 Abs. 2 S. 1 vorbehalten.[16]

 

Rz. 53a

Für die behaupteten Tatsachen ist die Glaubhaftmachung ausreichend.[17] Gelingt dem Antragsteller die Glaubhaftmachung nicht, so kann die AdV nicht gewährt werden.[18] Dabei gilt die Verteilung der Feststellungslast dermaßen, dass diese den Antragsteller hinsichtlich der ihn günstigeren Tatsachen trifft, während die Finanzverwaltung die Feststellungslast trägt für die steuerbegründenden und steuererhöhenden Tatsachen.[19]

 

Rz. 53b

Es sind im Zuge der summarischen Prüfung nur präsente Beweismittel zu berücksichtigen und zu würdigen.[20]

 

Rz. 53c

Diese eingeschränkte Ermittlungspflicht gilt auch, soweit die Besteuerung von steuerstrafrechtlichen Feststellungen abhängig ist. So braucht hinsichtlich der strafrechtlichen Grundlagen des Ablaufs der steuerlichen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO kein höheres Maß an Gewissheit vorzuliegen, als bei sonstigen Tatbestandsmerkmalen der Besteuerung.[21] Allerdings gilt auch im summarischen Verfahren nach § 361 AO hier der Grundsatz in dubio pro reo.[22] Dies gilt auch für die Haftung des Steuerhinterziehers oder des Steuerhehlers nach § 71 AO.[23] Die Behörde kann demgemäß im AdV-Verfahren ihre Sachverhaltsermittlung auch auf die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils stützen.[24]

 

Rz. 54

Auch die anstehenden Rechtsfragen können zwar, müssen aber nicht abschließend geprüft werden.[25] Geäußerte Rechtsansichten müssen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ihre Richtigkeit haben.[26]

[1] S. Rz. 62; Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 26.

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