Rz. 15

Die Einschränkung, dass zunächst die finanzbehördliche Entscheidung abgewartet werden muss (s. Rz. 12), gilt dann nicht, wenn die Finanzbehörde über den bei ihr gestellten AdV-Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.[1] Diese Ausnahmeregelung ist der "Untätigkeitsklage" nachgebildet, um auszuschließen, dass die Finanzbehörde den gerichtlichen Rechtsschutz durch Untätigkeit verhindert. Die Zulässigkeit des gerichtlichen AdV-Antrags wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass in diesem Fall der "Untätigkeitseinspruch" nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO erhoben werden kann bzw. dieses Einspruchsverfahren anhängig ist.[2]

Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der AdV (s. Rz. 50) ist die Frage der Angemessenheit der Frist abhängig von der Schwierigkeit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Sachverhalts, also insbesondere in welchem Umfang Sachverhaltsermittlung erforderlich ist; die Sechsmonatsfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 FGO ist daher nicht analog heranzuziehen.[3] I. d. R. kann deshalb eine Sachentscheidung nicht innerhalb eines Tages erwartet werden. Eine Bearbeitungsdauer von 6,5 Wochen sah das FG Münster bereits für die Änderung einer Lohnsteuerklasse für zu lange an.[4] Das FG des Landes Sachsen-Anhalt betrachtete eine Bearbeitungszeit von mehr als drei Monaten nicht mehr als angemessen.[5]

Das FG Berlin-Brandenburg hat hingegen, wenn ein AdV-Antrag knapp 2 Monate nach Fälligkeit einer 6-stelligen Steuerforderung, die bereits über 5 Wochen angemahnt war, eine Frist von 13 Tagen zwischen Antragseingang und dem Zugang einer Reaktion beim Antragsteller als angemessen erachtet.[6] Die Rspr. sieht zudem eine Bearbeitungszeit als zu lange an, wenn bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung über den mit der Einlegung des Einspruchs gleichzeitig oder in engem zeitlichen Zusammenhang gestellten Aussetzungsantrag nicht entschieden worden ist.[7]

Voraussetzung ist ferner, dass die Finanzbehörde es unterlassen hat, dem Antragsteller einen zureichenden Grund für die Verzögerung der Sachentscheidung durch entsprechende Zwischennachricht mitzuteilen bzw. wenn die Behörde eine Mitteilung gegeben hat, dass der angegebene Grund nicht als "zureichend" angesehen werden kann.[8]

 

Rz. 15a

Insofern lässt sich also zusammenfassen, dass es keine allgemeingültige Frist gibt, innerhalb der die Finanzbehörde zu entscheiden hat. Es kommt vielmehr auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an, wobei der Umfang des Sachverhalts und die Komplexität der Rechtsfrage von Belang sind.[9] Zudem kommt auch der Frage Bedeutung zu, inwieweit der Antragsteller seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.[10] Schließlich kann sich eine Eilbedürftigkeit daraus herleiten, dass die Sache erhebliche finanzielle Auswirkungen für den Antragsteller hat[11], also ggf. die Vollstreckung seine wirtschaftliche Existenz bedroht.

[3] Kraus, NWB 2009, 853, 856; Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 69 Rz. 152 m. w. N.; FG des Landes Sachsen-Anhalt v. 5.5.2006, 3 V 866/05, EFG 2006, 1340.
[4] FG Münster v. 16.1.2012, 6 V 4218/11 E, EFG 2012, 750; Kraus NWB 2009, 853, 856: eine Frist von 6 Wochen sei regelmäßig nicht unangemessen.
[7] FG Hamburg v. 25.9.1980, V 171/80, EFG 1981, 252; BFH v. 14.3.2001, VI B 279/99, BFH/NV 2001, 1237.
[8] Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 69 Rz. 153.
[9] Kraus, NWB 2009, 853, 856.
[10] Kraus, NWB 2009, 853, 856.

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