1 Allgemeines

1.1 Überblick und Zweck

 

Rz. 1

§ 356 AO nennt die Mindestanforderungen an eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn eine solche einem schriftlich oder elektronisch ergehendem Verwaltungsakt aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung hinzuzufügen ist und beschreibt die Konsequenzen ihres Unterbleibens oder ihrer Unrichtigkeit für die Einspruchsfrist.

 

Rz. 2

§ 356 AO ist damit eine Sonderregelung zu § 355 Abs. 1 AO, der die Einspruchsfrist regelt. Durch die Verlängerung der Frist soll die Vorschrift verhindern, dass der Beteiligte es nur aus dem Grund versäumt, rechtzeitig Einwendungen gegen den Verwaltungsakt vorzutragen, weil er nicht ordnungsgemäß über die ihm zustehenden Verfahrensrechte aufgeklärt worden ist.[1]

Mit der Rechtsbehelfsbelehrung wird der Beteiligte über seine Rechte im Verfahren informiert und damit der individuelle Rechtsschutz, der durch die gesetzliche Festlegung der Einspruchsfrist in § 355 AO eingeschränkt ist, gesichert.[2] Die Belehrung über den möglichen Rechtsbehelf ist durch die der Finanzbehörde obliegende verfahrensrechtliche Fürsorgepflicht geboten.[3]

1.2 Rechtsentwicklung

 

Rz. 3

§ 356 AO entspricht im Wesentlichen dem § 237 RAO. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur einkommensteuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen und zur Änderung anderer gesetzlicher Vorschriften[1] mit Wirkung ab 1.1.1996 redaktionell an die Abschaffung der Beschwerde als außergerichtlichem Rechtsbehelf angepasst. Durch das Dritte Gesetz zur Änderung verfahrensrechtlicher Vorschriften[2] wurde der Anwendungsbereich der Vorschrift mit Wirkung ab dem 28.8.2002 auf die nunmehr zugelassenen elektronischen Verwaltungsakte erweitert und die Form der Rechtsbehelfsbelehrung vorgeschrieben.

[1] Grenzpendlergesetz v. 24.6.1994, BGBl I 1994, 1395.
[2] v. 21.8.2002, BGBl I 2002, 3322.

2 Erfordernis und Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung (§ 356 Abs. 1 AO)

2.1 Betroffene Verwaltungsakte

 

Rz. 4

§ 356 AO ist einschlägig, wenn "ein Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch" ergeht.

Dabei ist es unerheblich, ob die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist oder von der Finanzbehörde gewählt wurde.[1] Die Schriftform kann nach § 87a Abs. 4 S. 1 AO durch die elektronische Form ersetzt werden, soweit dies nicht gesetzlich ausgeschlossen ist.[2]

 

Rz. 5

§ 356 AO schreibt die Rechtsbehelfsbelehrung für den schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt nicht vor, sondern setzt sie voraus.

Die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung ist vielmehr für die folgenden Verwaltungsakte ausdrücklich gesetzlich bestimmt:

  • Steuerbescheide[3],
  • Feststellungsbescheide[4],
  • Steuermessbescheide[5],
  • Zerlegungsbescheide[6],
  • Zuteilungsbescheide[7],
  • Anordnung der Außenprüfung[8],
  • Aufteilungsbescheide[9],
  • Bescheid über die Bildung oder Änderung von Lohnsteuerabzugsmerkmalen, wenn dessen Erteilung vom Stpfl. beantragt wurde oder das FA einem Antrag des Stpfl. ganz oder teilweise nicht entsprochen hat[10].
 

Rz. 6

Auch Einspruchsentscheidungen sind nach § 366 AO mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Statthafter Rechtsbehelf ist dabei die Klage beim FG. Unterbleibt die Belehrung über die Klagemöglichkeit oder wird sie unrichtig erteilt, ergibt sich die Rechtsfolge, nämlich die Verlängerung der Klagefrist, nicht aus § 356 AO, sondern aus § 55 Abs. 2 FGO.

 

Rz. 7

Auf eine Steueranmeldung, die keiner Zustimmung der Finanzbehörde bedarf, ist § 356 AO nicht anwendbar, denn es handelt sich bei ihr nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine Steuererklärung, die lediglich nach § 168 AO infolge der Gleichstellung mit einer Steuerfestsetzung die Wirkung eines Verwaltungsakts hat.[11] Der Einspruch muss daher nach § 355 Abs. 1 S. 2 AO innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde eingelegt werden.

 

Rz. 8

Soweit die Rechtsbehelfsbelehrung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, liegt ihre Erteilung bei schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakten im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde.

Erteilt die Behörde in diesen Fällen eine Rechtsbehelfsbelehrung, muss jedoch auch diese "freiwillige" Belehrung den Mindestanforderungen des § 356 AO genügen, da anderenfalls auch in diesen Fällen die Rechtsfolgen des § 356 AO eintreten.

 

Rz. 9

Die Vorschrift ist auf Verwaltungsakte, die mündlich oder formfrei ergehen, nicht anwendbar.[12] Auch eine analoge Anwendung des § 356 Abs. 2 AO soll nicht in Betracht kommen.[13] Vielmehr wird der Lauf der einmonatigen Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 AO auch ohne Rechtsbehelfsbelehrung sofort mit der Bekanntgabe in Gang gesetzt.[14] Werth[15] ist darin zuzustimmen, dass diese Folge im Hinblick auf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes verfassungsrechtlich bedenklich ist und daher entsprechend der Regelung des § 126 Abs. 3 AO die Versäumnis der Einspruchsfrist als nicht verschuldet anzusehen und nach § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein sollte.[16]

[1] Siegers, in HHSp, AO/FGO, § 356 AO Rz. 8.

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