1 Allgemeines

1.1 Einschränkung des Rechtsschutzes

 

Rz. 1

Der formelle Rechtsschutz gegen erlassene Verwaltungsakte der Finanzbehörde in Angelegenheiten, für die der Einspruch nach § 347 AO bzw. der Finanzrechtsweg nach § 33 FGO eröffnet ist, ist durch Befristung eingeschränkt.[1] Zweck dieser Einschränkung ist die Schaffung von Rechtssicherheit.[2] Ein geordnetes Rechtsleben setzt notwendig voraus, dass über die rechtliche Verbindlichkeit einer in einem Verwaltungsakt getroffenen Regelung nicht zeitlich unbegrenzt gestritten werden kann. Die Einspruchsfrist schränkt das Interesse des Einzelnen an einer materiell zutreffenden Regelung im Interesse des Rechtsfriedens ein.

 

Rz. 2

Diese Einschränkung des Rechtsschutzes ist im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie[3] zulässig.[4]

[1] §§ 355, 356 AO; §§ 47, 55 FGO; s. entspr. auch § 79 VwVfG i. V. m. § 68 VwGO.
[4] BVerfG v. 11.8.1954, 2 BvR 2/54, BVerfGE 4, 31, 37.

1.2 Anwendungsbereich der Vorschrift

 

Rz. 3

Die Einspruchsfrist nach §§ 355, 356 AO gilt nur für den Einspruch gegen den erlassenen Verwaltungsakt.[1]

Die Einspruchsfrist besteht nicht:

  • nach § 355 Abs. 2 AO für den Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 S. 2 AO. Ist der Erlass eines Verwaltungsakts beantragt worden, hat aber die Finanzbehörde den beantragten Verwaltungsakt noch nicht bekannt gegeben , so kann Rechtsschutz gegen die Untätigkeit unbefristet erlangt werden . Allerdings ist der Finanzbehörde eine angemessene Entscheidungsfrist einzuräumen. Andererseits führt auch ein langer Zeitablauf nicht zu einer Verwirkung des Untätigkeitseinspruchs.[2]
  • nach § 356 Abs. 2 S. 1 AO, wenn die Finanzbehörde einen schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt (s. Rz. 9) mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung dahin gehend versehen hat, dass ein Einspruch ausgeschlossen sei. Ein derartig gravierender Fehler der Finanzbehörde bewirkt, dass das Interesse an der Rechtssicherheit hinter dem Interesse des Stpfl. an Rechtsschutz zurücktreten muss und der Verwaltungsakt zeitlich unbeschränkt anfechtbar bleibt.
  • für die Anfechtung nichtiger Verwaltungsakte, da diese nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam sind und demgemäß keine Fristen auslösen können.[3]

Die Einspruchsfrist besteht demgegenüber, wenn auf den Einspruch nach § 354 AO verzichtet worden ist und durch den Einspruch die Wirksamkeit des Einspruchsverzichts überprüft werden soll.[4]

[2] Ebenso Werth, in Gosch, AO/FGO, § 355 AO Rz. 11; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 355 AO Rz. 19; a. A. Koenig/Cöster, AO, 3. Aufl. 2014, § 355 Rz. 23.

1.3 Grundlagen

 

Rz. 4

Die Einlegung des Einspruchs ist eine verfahrensrechtliche Willenserklärung, durch die das finanzbehördliche Einspruchsverfahren anhängig wird . Der Zugang des Einspruchsschreibens, das den formellen und inhaltlichen Mindesterfordernissen entspricht, hat innerhalb der Einspruchsfrist bei der Einlegungsbehörde zu erfolgen.[1]

 

Rz. 4a

Der Einspruchsführer trägt die Feststellungslast für den fristgerechten Zugang.[2] Dem Einspruchsführer kommt dabei weder ein Anscheinsbeweis noch eine Zugangsfiktion zugute.[3] Unsicherheiten hinsichtlich der Absendung und des Zugangs bei der Finanzbehörde gehen zulasten des Einspruchsführers, soweit die Unaufklärbarkeit nicht allein in den Verantwortungsbereich der Finanzbehörde fällt.[4] Der Einspruchsführer hat also die Absendung substantiiert darzulegen und hinreichend nachzuweisen.[5] Die bloße Behauptung der Absendung ist nicht ausreichend.[6]

 

Rz. 4b

Nur der Zugang des Einspruchsschreibens bei der Einlegungsbehörde wahrt die Einspruchsfrist und damit die Zulässigkeit des Einspruchs.

Der Eingangsstempel der zuständigen Finanzbehörde ist eine öffentliche Urkunde. Sie erbringt grundsätzlich den Beweis für die Zeit und den Ort des Eingangs.[7] Der zulässige Gegenbeweis der Unrichtigkeit[8] erfordert den vollen Nachweis für einen anderen Geschehensablauf.[9] Sie erbringt grds. den Beweis für die Zeit und den Ort des Eingangs.[10] Der zulässige Gegenbeweis der Unrichtigkeit erfordert den vollen Nachweis für einen anderen Geschehensablauf.[11] Der durch den Eingangsstempel erbrachte Beweis kann nicht durch eidesstattliche Versicherung widerlegt werden[12], da sie lediglich ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises ist.[13] Eine Fristversäumnis muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.[14]

 

Rz. 5

Wird der Verwaltungsakt nicht innerhalb der Einspruchs- bzw. Klagefrist angefochten oder kann eine Fristversäumnis auch nicht durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden , so führt dies zur formellen Bestandskraft des Verwaltungsakts. Der Verwaltungsakt ist unanfechtbar. Die Bestandskraft bindet die Beteiligten, die Finanzbehörde und die Finanzgerichtsbarkeit . Der Regelungsinhalt des Verwaltungsakts kann nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen modifiziert werden.[15] Der bestandskräftige Verwaltungsakt wirkt auch bei ...

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