Rz. 35

§ 30 Abs. 2 Nr. 2 AO erweitert den Schutzbereich des Steuergeheimnisses über § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO hinaus.[1] Zwar sind fremde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse i. d. R. auch "personenbezogene Daten eines anderen". Anders als im Schutzbereich des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO bedarf es hier aber keiner "Zuordnung" zu einer Person. Das Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ist als solches geschützt. Es bedarf insoweit also auch nicht zwingend eines Personenbezugs. So sind anonyme oder pseudonymisierte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse keine personenbezogenen Daten i. S. d. § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO. Sie werden aber in § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO als solche und gesondert als vom Steuergeheimnis geschützte Daten definiert. Unabhängig von der Kenntnis mit dem Geschäftsgeheimnis verbundener personenbezogener Daten hat das Geschäftsgeheimnis als solches einen eigenen (auch wirtschaftlichen) Schutzwert. Durch das Bekanntwerden oder auch nur das Risiko des Bekanntwerdens sensibler Unternehmensdaten wird der Wert des Unternehmens gemindert.[2] Dementsprechend kommt diesen sensiblen Unternehmensdaten nach dem Sinngehalt des Steuergeheimnisses ein eigener relevanter Schutzwert zu. Auch die anonymisierte oder pseudonymisierte Datenweitergabe über das Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis würde also den Schutzbereich des Steuergeheimnisses verletzen.[3]

 

Rz. 36

Grundsätzlich ist Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis zunächst jede betriebliche oder geschäftliche Angelegenheit oder Tatsache, an deren Geheimhaltung der Betriebs- oder Geschäftsinhaber, der Freiberufler oder die sonstige Person (z. B. Erfinder) ein schutzwürdiges Interesse hat und die er geheim halten will. Ein schutzwürdiges Interesse ist jedenfalls gegeben, wenn es sich um Tatsachen und Umstände handelt, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und praktisch nutzbar sind und deren unbefugte Nutzung zu beträchtlichen Schäden führen kann.[4] Nicht nur Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des gewerblichen Bereichs kommen also in Betracht. Als schutzwürdige Geheimnisse kommen Herstellungsgeheimnisse wie geheime Verfahren, Rezepte, Ergebnisse von Fabrikationsversuchen, aber auch Kundenlisten, Inhalt von Geschäftsbüchern, EDV-Programme, Ergebnisse von Marktuntersuchungen und Werbevorhaben in Betracht. Der Begriff entspricht im Übrigen der in der Rechtsprechung zu § 17 UWG a. F. entwickelten Begriffsbestimmung[5], sodass im Einzelnen derzeit noch die zum UWG a. F. ergangene Rspr. und Lit. herangezogen werden kann, soweit sie nicht durch die gesetzliche Neuregelung überholt ist.

 

Rz. 36a

§ 2 Nr. 1 des am 26.4.2019 in Kraft getretenen Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG)[6] enthält nunmehr eine Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses. Dass sich der Schutzbereich des Gesetzes nach § 1 Abs. 1 GeschGehG ausschließlich auf den Begriff des "Geschäftsgeheimnisses" bezieht, ist dabei nur darauf zurückzuführen, dass die Differenzierung zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ohnehin keine praktische Relevanz hat.[7] Die Legaldefinition des § 2 Nr. 1 GeschGehG ist deshalb auch für den Schutzbereich des § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO maßgebend. Dabei enthält die neue Legaldefinition des § 2 Nr. 1 GeschGehG relevante Modifizierungen zu der von der Rechtsprechung zu § 17 UWG a. F. entwickelten Auslegung.[8]

 

Rz. 36b

Die für das Steuergeheimnis wesentlichste Änderung dürfte dabei die Anforderung den Umständen nach angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen nach § 2 Nr. 1 Buchst. b GeschGehG sein. Diese Voraussetzung ist nunmehr objektives Tatbestandsmerkmal, dessen Vorliegen der Geschäftsinhaber zu beweisen hat.[9] Unterlässt der Geschäftsinhaber also angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen, fällt die Information aus dem Schutzbereich des GeschGehG und damit im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung m. E. auch aus dem Schutzbereich des § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO heraus. Die unternehmensrelevante Tatsache wäre also nur noch dem Steuergeheimnisschutz des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO unterworfen und als anonymisierte und – je nach Informationsempfänger – auch als pseudonymisierte Information ungeschützt (vgl. Rz. 35). Das Unterlassen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen führt für interessierte Dritte also zu einem erleichterten Zugang zu den geschäftlichen Informationen des Betriebsinhabers.[10] Dies gilt auch für den Schutz durch das Steuergeheimnis, soweit die Information nicht erkennbar mit seiner Person verbunden sind, sie also von der Betriebszugehörigkeit gelöst wird.

Was im Einzelfall den Umständen entsprechend angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen sind, hängt von der Art des Geschäftsgeheimnisses im Einzelnen und den konkreten Umständen der Nutzung ab.[11] Dies wird in der Folge kasuistisch von der Rechtsprechung herauszuarbeiten und zu präzisieren sein.[12]

Rz. 36c–36d einstweilen frei

 

Rz. 36e

Fremd sind die Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse für Personen, die das Geheimnis nicht kennen und nach dem Willen der geschützten Person auch nicht kennenlernen sollen.

Jedermann ohne Weiteres zugängliche Informationen sind kei...

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