Rz. 8

Zweck der Geldleistungen muss die Erzielung von Einnahmen sein. Eine etwaige Zweckbindung des Steueraufkommens ist für den Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO unschädlich.[1] Dabei lassen sich nach Zweck und Zielrichtung der Besteuerungsvorschriften die sog. Fiskalzwecknormen ("Finanzzwecksteuern"[2]) von den sog. Lenkungsnormen (Sozialzwecknormen) unterscheiden. Alleiniger Zweck der Fiskalzwecknormen ist die Erzielung von Einnahmen. Bei Lenkungsnormen steht hingegen das Ziel der mittelbaren Verhaltenssteuerung im Vordergrund, wobei die Einnahmeerzielung nur Nebenzweck sein kann. Die Steuereigenschaft solcher Lenkungsnormen erkennt § 3 Abs. 1 Halbs. 2 AO – dazu nachfolgend – ausdrücklich an.[3]

 

Rz. 9

Praktische Bedeutung hat die Abgrenzung zwischen Fiskalzweck- und Lenkungsnormen z. B. im Zusammenhang mit der Anwendung des § 40 AO[4] und ferner für die (insbesondere teleologische oder analoge) Auslegung der jeweiligen Norm.[5] Verfassungsrechtlich besteht für durch Lenkungsnormen bewirkte Ungleichbehandlungen ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf (vgl. Rz. 55f.).

 

Rz. 10

Der Gesetzgeber hat wegen der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begriffsbestimmung bewusst von einer weiteren Fassung des Merkmals etwa durch die Worte "zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben" Abstand genommen. Dieses Merkmal könnten zwar ein zurückzuzahlender Konjunkturzuschlag oder ähnliche Zwangsanleihen erfüllen. Bei einer rückzahlbaren Abgabe fehlt es aber am Zweck der Einnahmeerzielung und damit an einer Steuer.[6]

 

Rz. 11

Keine Steuern sind die von § 3 Abs. 4 AO als steuerliche Nebenleistungen bezeichneten Vorgänge. Diese Geldleistungen sind Ungehorsamsfolgen mit Sanktionscharakter und zielen nicht auf die Erzielung staatlicher Einnahmen.[7] § 3 Abs. 4 Nr. 10 AO und § 3 Abs. 5 Satz 5 AO sollen der Deckung der mitunter aufwändigen Prüfung der Auskunftserteilung dienen.[8]

 

Rz. 12

Der Umstand, dass der neben der Einnahmeerzielung verfolgte Hauptzweck nicht oder nur unvollkommen erreicht werden kann, beeinträchtigt die Qualität der Steuer nicht. Wenn allerdings der andere Hauptzweck gerade auf eine Unterbindung der Einnahmeerzielung ausgerichtet ist, so kann die Abgabe keine Steuer sein. Daher erfüllt eine sog. Erdrosselungssteuer nicht den Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO, weil die Erfüllung des Steuertatbestands auf Dauer unterbunden werden soll und die Steuererhebung damit nicht dem Zweck der Einnahmeerzielung dient.[9] Solche "Steuern" verstoßen gegen Art. 12 GG und meist auch gegen Art. 14 GG.[10] Bislang hat das BVerfG allerdings das Vorliegen einer Erdrosselungssteuer noch niemals bejaht.[11] Eine Erdrosselungssteuer kann nicht schon dann angenommen werden, wenn die genannten Wirkungen in Einzelfällen, jedoch nicht im Regelfall eintreten. In diesen Einzelfällen ist ggf. durch Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO oder den Widerruf eines rechtmäßigen Steuerverwaltungsakts[12] zu helfen.

 

Rz. 13

Nach dem vom BVerfG zunächst für die Vermögensteuer entwickelten Halbteilungsgrundsatz[13] sollte bereits bei einer Steuerlast von über 50 % eine einschneidende, also letztlich erdrosselnde Wirkung gegeben sein. Die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen hatte das BVerfG allerdings nicht näher bestimmt. Für die ESt hat das BVerfG die Vorstellung eines Halbteilungsgrundsatzes zwischenzeitlich wieder aufgegeben und damit begründet, dass sich aus Art. 14 Abs. 2 S. 2 und Abs. 2 S. 2 GG keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung ableiten lasse.[14] Aus der BVerfG-Rspr. dürfte immerhin abzuleiten sein, dass die Grenze der steuerlichen Belastung am Verhältnismäßigkeitsprinzip auszurichten ist und nicht erst eine absolute Erdrosselungswirkung unzulässig ist.[15] Da es keinen strikt anzuwendenden Halbteilungsgrundsatz gibt, kann ein solcher auch nicht Maßstab einer Billigkeitsentscheidung sein.[16]

 

Rz. 14

Zweifelhaft könnte sein, ob die zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben Steuern waren. Sie dienten dem Ausgleich zwischen den Abgabepflichtigen und den Entschädigungsberechtigten. Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 GG sieht sie jedoch als Steuern an.[17] Unzweifelhaft eine Steuer ist der auf der Grundlage des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nach dem SolZG 1995 erhobene Solidaritätszuschlag.[18]

[1] BVerfG v. 20.4.2004, 1 BvR 905/00 u. a., BVerfGE 110, 274 betr. Stromsteuer und erhöhte Mineralölsteuer.
[3] Wernsmann, in HHSp, AO/FGO, § 3 AO Rz. 87ff.
[6] BVerfG v. 6.11.1984, 2 BvL 19/83 u. a., BVerfGE 67, 256/281ff.
[7] Neumann, in Gosch, AO/FGO, § 3 AO Rz. 18.
[8] BT-Drs. 20/4376, 78.
[9] BVerfG v. 5.3.1974, 1 BvR 712/68, BVerfGE 36, 321; BVerfG v. 17.7.1974, 1 BvR 51, 160, 285/69, 1 BvL 18, 26/72, BVerfGE 38, 61; vgl. auch BVerfG v. 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115,9; Wernsmann, DStR 2023, 386.

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