Rz. 9

Die zweite Alternative, in der die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken ist, ist gegeben, wenn der Verwaltungsakt, der die Grundlage für die Vollstreckung bildet, aufgehoben wird. Ist der Verwaltungsakt, der vollstreckt werden sollte, hingegen nichtig, wird § 257 Abs. 1 Nr. 2 AO analog angewendet.[1] Keine Anwendung findet § 257 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn ein Jahressteuerbescheid an die Stelle von Vorauszahlungsbescheiden tritt.[2] Die Vollstreckungsmaßnahmen finden dann lediglich auf dieser neuen Grundlage statt.[3]

 

Rz. 10

Nach § 257 Abs. 2 S. 1 AO sind bei einer Aufhebung des Verwaltungsakts grundsätzlich auch alle bisher ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben.[4] Hiervon besteht nach § 257 Abs. 2 S. 2 AO eine Ausnahme, wenn die Aufhebung des Verwaltungsakts durch eine gerichtliche Entscheidung erfolgt ist. Ist die gerichtliche Entscheidung noch anfechtbar, so ist die Vollstreckung zwar einzustellen, die Rechtsfolgen der bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen bleiben jedoch bis zur Unanfechtbarkeit bestehen. Mit dieser Ausnahme wird der Möglichkeit Rechnung getragen, dass die gerichtliche Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren wieder aufgehoben wird. Die Finanzbehörde soll vor dem Risiko geschützt werden, dass sich ihre Rechtsstellung durch die Aufhebung der in der Vollstreckung erworbenen Rechte wieder verschlechtert.[5]

 

Rz. 11

Eine weitere Einschränkung enthält § 257 Abs. 2 S. 2 AO dahingehend, dass die Vollstreckungsmaßnahmen bei einer Aufhebung des Verwaltungsakts durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung nicht aufzuheben sind, wenn aufgrund des den Verwaltungsakt aufhebenden Urteils ein neuer Verwaltungsakt zu erlassen ist. Eine Aufhebung kommt also nicht in Betracht, wenn der aufgehobene Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt werden kann, der erst noch zu erlassen ist und dann die Grundlage für die Vollstreckung bildet. Die bereits entstandenen Verwertungsrechte haben dann ihre Grundlage in dem neuen Verwaltungsakt. Diese Bestimmung mag aus der Interessenlage der Verwaltung verständlich sein, sie ist aber als systemfremd anzusehen und deshalb eng auszulegen. Demgemäß kann sie nur angewendet werden, wenn beide Verwaltungsakte, also der aufgehobene Verwaltungsakt und der an seine Stelle tretende, von ihrem materiellen Gehalt her identisch sind. Dies ist der Fall, wenn der aufgehobene Verwaltungsakt lediglich aus formellen Gründen aufgehoben wurde, nicht jedoch wenn die Aufhebung aufgrund sachlicher Fehler erfolgt ist. Ist der Verwaltungsakt etwa wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben, ist der neue Verwaltungsakt nicht als identisch anzusehen, da der neue Verwaltungsakt durch die jetzt angestellten Ermessenserwägungen eine andere Qualität als der aufgehobene Verwaltungsakt hat.

 

Rz. 12

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 257 Abs. 2 AO findet diese Bestimmung nur Anwendung, wenn die Aufhebung durch ein Gericht erfolgt ist. Die Bestimmung ist auch nicht analog auf den Fall anwendbar, dass die Finanzbehörde selbst den Verwaltungsakt aufgehoben hat.[6]

[1] BFH v. 26.2.1992, I B 113/91, BFH/NV 1993, 349; BFH v. 20.5.2014, VII B 147/13, BFH/NV 2014, 1353; Klein/Werth, AO, 17. Aufl. 2023, § 257 Rz. 3; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 257 AO Rz. 5; Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 257 Rz. 3.
[2] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 257 AO Rz. 4; Klein/Werth, AO, 17. Aufl. 2023, § 257 AO Rz. 3.
[3] BFH v. 29.11.1984, V R 146/83, BStBl II 1985, 370; BFH v. 24.1.1995, VII R 144/92, BStBl II 1995, 862; Beermann, in HHSp, AO/FGO, § 257 AO Rz, 14; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 257 AO Rz. 4.
[4] Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 257 Rz. 6.
[5] Jatzke, in HHSp, AO/FGO, § 257 AO Rz. 46ff.
[6] Jatzke, in HHSp, AO/FGO, § 257 AO Rz 51.

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