Rz. 76

Da die vor der Eröffnung des Verfahrens entstandene Steuerschuld Insolvenzforderung ist, die anschließend durch die Handlungen des Insolvenzverwalters entstandene Steuerschuld jedoch Masseverbindlichkeit ist, ist eine Aufteilung der ESt-Schuld vorzunehmen.[1] Dabei kommt es nicht zu verschiedenen Veranlagungen, sondern es kommt allein eine verhältnismäßige Aufteilung in Betracht, wobei von einer einheitlich ermittelten und festgesetzten Steuerschuld auszugehen ist. Für buchführungspflichtige Stpfl. hilft hierbei § 155 Abs. 1 InsO, der bestimmt, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr beginnt. Die ESt ist dabei dann Masseverbindlichkeit, wenn sie aus einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners resultiert, die der Insolvenzverwalter im Interesse der Masse erlaubt hat, um Betriebseinnahmen für die Masse zu generieren.[2] Die Steuer ist damit gegenüber dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder festzusetzen.[3]

 

Rz. 77

Ausgangspunkt für die Aufteilung der ESt-Schuld in Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit ist dabei die Jahressteuerschuld, da die wesentlichen Grundlagen für die Ermittlung der Steuer erst dann feststehen. Dies gilt insbesondere für die Gewinne bzw. Verluste verschiedener Einkommensarten, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen. Aufgrund dieser Anknüpfung an das gesamte Jahr kann es bei einem Insolvenzverfahren im Lauf eines Jahres nur eine Schätzung der Steuerschuld geben. § 45 S. 1 InsO sieht eine solche Schätzung für unbestimmte Forderungen ausdrücklich vor. Stellt sich die Schätzung später als nicht zutreffend heraus, hat eine Berichtigung der Schätzung nach § 177 Abs. 1 S. 3 InsO zu erfolgen.[4]

 

Rz. 78

Hinsichtlich der Berechnung der Aufteilung der ESt-Schuld werden in der Lit. verschiedene Rechenmodelle vertreten.[5] Üblicherweise wird aber in der Weise verfahren, dass der anteilige ESt-Betrag sich aus einer Multiplikation der Teileinkünfte des Schuldners aus der Zeit vor der Insolvenz mit dem ESt-Jahresbetrag geteilt durch den Gesamtbetrag der Einkünfte ergibt. In einer Formel stellt sich dieser Aufteilungsmaßstab wie folgt dar:

 
anteiliger ESt-Betrag = Teileinkünfte * ESt-Jahresbetrag  
Gesamtbetrag der Einkünfte  
 

Rz. 79

Dieser Aufteilungsmaßstab hat Kritik erfahren. Insbesondere Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, 145ff. führt gegen diese Vorgehensweise beachtliche Gründe ins Feld. Vor allem werde die Progression nicht berücksichtigt. Außerdem werde nicht hinreichend erfasst, welche Sonderausgaben und Freibeträge wann zu berücksichtigen sind. Frotscher schlägt stattdessen eine entsprechende Anwendung der §§ 268ff. AO vor (Aufteilung der Gesamtschuld).[6] In der Sache ist Frotscher zuzustimmen. Gleichwohl wird die Praxis i. d. R. eine Schätzung erforderlich machen, die mit Annahmen zu arbeiten gezwungen sein wird.

[1] AEAO zu § 251 AO Rz. 9.1; Olbig, in Steueranwalt 2013/2014, 148ff.; Petersen/Winkelhog, in Sonnleitner, Insolvenzsteuerrecht, 2017, Kap. 4 Rz. 96ff.
[5] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Rz. 75; Olbig, in Steueranwalt 2013/2014, 153f.; Jatzke, in HHSp, AO/FGO, § 251 AO Rz. 341ff.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, 145ff.
[6] Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, 147.

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