Rz. 42

Auf die Aussetzungszinsen kann ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre.[1] Abs. 4 enthält eine Sonderregelung, deren Anwendung nicht im Ermessen des FA steht. Ein Ermessensentscheidung ist allerdings die Entscheidung nach § 234 Abs. 2 AO, die sich im Ergebnis mit der Entscheidung nach §§ 163, 227 AO deckt.[2] Die Anwendung der Vorschrift erlaubt einen Verzicht nur unter besonderer Berücksichtigung des Sinnes und Zwecks der Zinsregelung.[3] Bei der Anwendung der zu §§ 163, 227 AO entwickelten Grundsätze auf den Zinsverzicht sind sowohl bei den sachlichen als auch bei den persönlichen Billigkeitsgründen die Umstände des Rechtsbehelfs- und des Aussetzungsverfahrens zu berücksichtigen. Sachlich unbillig ist die Erhebung von Aussetzungszinsen jedoch nur, wenn die Erhebung von Aussetzungszinsen nicht durch die Zwecke des § 237 AO zu rechtfertigen ist bzw. den gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft.[4] Entscheidend sind die Verhältnisse des jeweiligen Zinsschuldners; die Verhältnisse eines anderen Rechtssubjekts sind ohne Bedeutung.[5] Da Aussetzungszinsen jedoch die automatische Folge des § 237 AO sind, kann hiervon nur in begründeten Einzelfällen abgewichen werden.

 

Rz. 43

Die lange Dauer der Aussetzung ist noch kein Verzichtsgrund, auch wenn das FA das Verfahren hätte beschleunigen können.[6] Insoweit stehen Stpfl. der Untätigkeitseinspruch[7] und die Untätigkeitsklage[8] zur Verfügung.[9] Ggf. kann ein Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG in Betracht kommen.[10] Auch das Fehlen einer Verzinsungsregelung bei gleichzeitigem Recht des Steuergläubigers zur Festsetzung von Aussetzungszinsen (bei Aussetzungszinsen vor 1990) ist nicht sachlich unbillig.[11] Ebenso wenig gebietet der Umstand einen Verzicht auf Aussetzungszinsen, dass der Rechtsbehelfsführer während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens und der Aussetzung der Vollziehung Erstattungsansprüche bei der gleichen Steuerart aus anderen Veranlagungszeiträumen hat.[12] Bei Aussetzungszinsen aus einem Rechtsbehelfsverfahren gegen einen Vorbehaltsbescheid nach § 164 AO ist ein Verzicht auf die Aussetzungszinsen nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn der Bescheid später nach § 164 Abs. 2 AO entsprechend herabgesetzt wird.[13]

 

Rz. 44

Anders kann es liegen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich fehlerhaft gewesen ist. Die lange Verfahrensdauer kann auch im Zusammenhang mit anderen Umständen die Verzinsung unbillig erscheinen lassen. Dauert z. B. ein Rechtsstreit über USt betr. die Höhe des Steuersatzes über 10 Jahre, so erscheint eine Zinspflicht bei Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs dann unbillig, wenn der jetzt endgültig festgestellten Steuerpflicht des Rechtsbehelfsführers ein gleich hoher Vorsteuerabzug bei den Leistungsempfängern eindeutig gegenübersteht, der Fiskus also keinen zeitweiligen Ausfall an Steuern gehabt hat. Ein Zinsverzicht nach Abs. 4 (i. V. m. § 234 Abs. 2 AO) kommt vor allem in Betracht, wenn durch mehrere Änderungen von Steuerbescheiden für Teilbereiche eine vom Gesetz nicht gewollte, aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossene Doppelverzinsung nach § 237 AO und § 233a AO eintritt.[14] Ist eine Verfassungsbeschwerde nach klageabweisendem Urteil erfolgreich, entfällt nachträglich gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO die Berechtigung zur Erhebung von Aussetzungszinsen.[15]

 

Rz. 45

Fraglich ist, ob eine aufgedrängte ADV (ohne entsprechenden Antrag des Stpfl. und gegen seinen erklärten Willen) einen Zinserlass rechtfertigt. Der BFH hat zwar die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage nur bejaht, wenn das Klageverfahren den zuletzt ergangenen, angefochtenen und ebenfalls erledigten Rechtsstreits betrifft.[16] Entscheidend aber die Aussage, dass die Tatbestandswirkung (nicht bloß die Ermessenserwägungen) für die Wirkung des § 237 AO entscheidend ist.[17] So ist wird insbesondere der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung getragen.[18] Die Begründung, dass Unterlassung einer Steuerzahlung keinen Erlass rechtfertige und ein – teilweiser – Zinserlass nur in Betracht kommt, wenn das FA die angebotene Steuernachzahlung nicht annimmt, überzeugt nicht.[19] Den Vorzug genießt die Auffassung, dass Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung ausschließlich dem Individualinteresse dienen und eine aufgedrängte Bereicherung Ansprüche aus § 237 AO ausschließt.[20]

 

Rz. 46

Über den Zinsverzicht entscheidet die für die Zinsfestsetzung zuständige Finanzbehörde. Diese Behörde ist seit der Streichung der besonderen Zuständigkeit in § 234 Abs. 3 AO mit Wirkung ab dem 30.12.1993 originär zuständig. Nur beim Überschreiten bestimmter Betragsgrenzen muss diese Behörde die vorgesetzte(n) Behörde(n) um Zustimmung ersuchen.[21] Die zur Entscheidung über den Verzicht vorher an sich zuständigen obersten Finanzbehörden der verwaltenden Körperschaften haben die Befugnisse für weite Bereiche auf die nachgeordneten Finanzbehörden delegiert.

 

Rz. 47

Die Entscheidung über den Zinsverzicht kann zusammen m...

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