Rz. 37

Umfang ist die Höhe der hinterzogenen Steuern, d. h. die Differenz zwischen dem Steuerbetrag, den die Finanzbehörde ohne Vorliegen der Steuerhinterziehung festgesetzt hätte, und dem Steuerbetrag, den sie festgesetzt hat. Die Höhe der hinterzogenen Steuern und damit der Differenz können nach § 162 AO geschätzt werden, auch wenn eine entsprechende Schätzung im Strafverfahren nicht möglich ist.[1] Der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" gilt für den Umfang der Zinspflicht ebensowenig wie für die Feststellung der Steuerhinterziehung selbst; vgl. Rz. 22.

 

Rz. 38

Sind Steuern mit progressivem Tarif nicht allein wegen einer Steuerhinterziehung zu niedrig festgesetzt, so ist der Umfang des hinterzogenen Betrags und damit der Verzinsung problematisch. Ergibt z. B. eine Außenprüfung Mehrsteuern, die teilweise hinterzogen und teilweise nur leichtfertig verkürzt worden sind, so wäre es nicht gerechtfertigt, den vorsätzlich verkürzten Steuerbetrag von der Spitze der richtigen Besteuerungsgrundlagen her zu berechnen. Wie bei der Ermittlung der Verkürzung im Steuerstrafrecht[2] ist vom Kenntnisstand des Hinterziehers auszugehen. Zu berechnen ist also die Differenz zwischen dem ursprünglich tatsächlich festgesetzten Steuerbetrag und dem Betrag, der sich beim Wegdenken allein der Steuerhinterziehung, nicht auch der leichtfertigen Steuerverkürzung ergeben hätte.[3]

 

Rz. 39

Wird die durch die Aufdeckung der Steuerhinterziehung sich erhöhende Steuer aus anderen Gründen tatsächlich wieder ermäßigt, so wird zwar nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO die Verkürzung strafrechtlich nicht beeinträchtigt. Eine Verzinsung dieses Betrages nach § 235 AO scheidet jedoch aus, da eine wirkliche Hinterziehung von Steuern nicht vorliegt.[4] Die Regelung des § 370 Abs. 4 S. 3 AO ist eine Ergänzung des Verkürzungsbegriffes für rein strafrechtliche Zwecke. Diese am Schuldprinzip des Strafrechtes ausgerichtete Bestimmung passt nicht zur steuerlichen Zielrichtung des § 235 AO. Der Verzugszinscharakter der Hinterziehungszinsen[5] lässt das Schuldprinzip hier unanwendbar sein. Dies zeigt auch die Zinsschuldnerregelung des § 235 Abs. 1 S. 2 AO. Dies wird lediglich für solche Fälle der Aufhebung, Änderung oder Berichtigung von Steuerfestsetzungen begrenzt, die nach dem 29.12.1993 geschehen und nach Beendigung des Zinslaufes wirksam werden.[6]

[1] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO Rz. 6.
[2] Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 37.
[3] FG Baden-Württemberg v. 13.10.2018, 13 K 1967/15, EFG 2018, 85; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO Rz. 10.
[4] BFH v. 26.2.2008, VIII R 1/07, BStBl II 2008, 659; offengelassen von BFH v. 12.10.1993, VII R 44/93, BStBl II 1994, 438; ebenso Gast-de Haan, wistra 1988, 298; a. A. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO Rz. 10.
[5] Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 235 AO Rz. 20.
[6] Vgl. Abs. 3 S. 3; s. auch Rz. 49.

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