Rz. 11

Besondere Probleme bei einem Erlass nach bestandskräftiger Steuerfestsetzung entstehen nur bei einem Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit. Soll die Steuer wegen persönlicher Unbilligkeit (dazu § 163 AO Rz. 169ff.) erlassen werden, ist dies bei Vorliegen von Erlasswürdigkeit und Erlassbedürftigkeit möglich, ohne dass die Bestandskraft der Steuerfestsetzung eine Rolle spielt. Besondere Fragen entstehen aber, wenn ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit nach bestandskräftiger Steuerfestsetzung beantragt wird mit der Begründung, die (bestandskräftige Steuerfestsetzung) sei sachlich unrichtig. Hier kollidiert das Erlassverfahren mit dem Grundsatz der Bestandskraft.

 

Rz. 12

Da es hier um einen Erlass von Steuern geht, kommen die folgenden Grundsätze nur zum Tragen, wenn die Steuer zulasten des Stpfl. bestandskräftig zu hoch festgesetzt worden ist. Ist die Steuer rechtswidrig zu niedrig festgesetzt worden, gibt es außerhalb der Vorschriften zur Durchbrechung der Bestandskraft, d. h. der §§ 172ff. AO sowie der entsprechenden Einzelregelungen in den Steuergesetzen, keine Möglichkeit, dieses Ergebnis zu korrigieren. Diese Vorschriften enthalten für Steuerbescheide abschließende Regelungen. Dies gilt jedoch auch, wenn die Steuer zulasten des Stpfl. bestandskräftig zu hoch festgesetzt worden ist. Auch insoweit enthalten die Vorschriften zur Durchbrechung der Bestandskraft eine abschließende Regelung. Insbesondere kann § 227 AO eine Rechtsgrundlage für eine Korrektur unrichtiger Steuerbescheide außerhalb der Vorschriften über die Durchbrechung der Bestandskraft nicht bieten. § 227 AO darf nicht zu einer Korrektur des Steuerbescheids führen, die nach der gesetzlichen Konzeption nicht vorgesehen ist.[1]

 

Rz. 13

Nach § 355 AO können Rechtsbehelfe nur binnen einer bestimmten Frist eingelegt werden. Der Gesetzgeber hat es damit in Kauf genommen, dass ein sachlich unrichtiger Verwaltungsakt bestandskräftig wird und damit die Finanzbehörde einen Zahlungsanspruch erwirbt, der keine materielle Grundlage hat. Entsprechendes gilt, wenn in einem Rechtsbehelfsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren die Streitfrage materiell unrichtig entschieden wurde. Da es Aufgabe des Grundsatzes der Billigkeit ist, das bei richtiger Anwendung der Steuergesetze zustande gekommene Ergebnis erforderlichenfalls zu korrigieren (die Korrektur eines unrichtigen Ergebnisses ist Aufgabe des Rechtsbehelfsverfahrens), ist grundsätzlich für eine Billigkeitsmaßnahme dann kein Raum, wenn nur Gründe vorgebracht werden, die die materielle Richtigkeit der Entscheidung in Zweifel ziehen, also im Rechtsbehelfsverfahren hätten vorgebracht werden müssen.[2] Die Einziehung eines solchen Anspruchs ist daher i. d. R. nicht sachlich unbillig, die Richtigkeit eines unanfechtbaren Verwaltungsakts bzw. eines rechtskräftigen Urteils ist im Verfahren nach § 227 AO nicht nachzuprüfen.[3] Die Tatsache allein, dass die Steuerfestsetzung unrichtig ist, begründet daher keine sachliche Unbilligkeit. Außerdem ist die Billigkeitsmaßnahme grundsätzlich subsidiär gegenüber der Anfechtung des Verwaltungsakts. Solange der Verwaltungsakt noch anfechtbar ist und die Unbilligkeit (z. B. infolge offensichtlicher Gesetzwidrigkeit, vgl. Rz. 15) im Rechtsbehelfsverfahren noch beseitigt werden kann, ist für eine Billigkeitsmaßnahme kein Raum. Dagegen ist das Verfahren über die Billigkeitsmaßnahme nicht nachrangig gegenüber dem Rechtsbehelfsverfahren, wenn die Billigkeitsgesichtspunkte im Steuerfestsetzungsverfahren und dem dazugehörenden Rechtsbehelfsverfahren nicht berücksichtigt werden können. Das ist insbesondere bei der Unbilligkeit aus persönlichen Gründen der Fall.

 

Rz. 14

Die Bestandskraft des Bescheids steht einem Erlass dann nicht entgegen, wenn der Erlassantrag vor Eintritt der Bestandskraft gestellt worden ist. Der Stpfl. kann dann darauf vertrauen, dass die Nichtdurchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens zu keinen Nachteilen im Erlassverfahren führt.[4]

 

Rz. 15

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Rechtsbehelfsverfahren vorrangig ist, kann nur in Betracht kommen, wenn die Sach- oder Rechtslage in dem Verwaltungsakt offensichtlich und eindeutig falsch beurteilt worden ist[5], sodass der Bescheid in grundsätzlicher Hinsicht gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verstößt. Hinzukommen muss, dass der Stpfl. nicht selbst wesentlich zu der unrichtigen Steuerfestsetzung beigetragen hat, er vielmehr alles seinerseits Erforderliche getan hat, um eine richtige Steuerfestsetzung zu erreichen. Nicht selbst zu der unrichtigen Steuerfestsetzung beigetragen hat der Stpfl. auch dann, wenn es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen den fehlerhaften Steuerbescheid rechtzeitig zu wehren; hierzu Rz. 19f. Diese beiden Voraussetzungen der offensichtlich falschen Steuerfestsetzung und der fehlenden Verursachung durch den Steuerpfl. müssen kumulativ vorliegen. Nur das Vorliegen einer der Voraussetzungen ermöglichen einen Billigkeitserlass nicht.[6] Dagegen ist keine sachliche Bill...

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