1 Grundlagen

1.1 Strafprozessuale Funktion der Finanzbehörden

 

Rz. 1

Durch die AO wird den Finanzbehörden eine Doppelfunktion zugewiesen. Nach Art. 108 GG obliegt den Finanzbehörden[1] die Verwaltung von Steuern.[2] Ziel dieser steuerlichen Aufgabe ist nach § 85 AO die gesetzmäßige Verwirklichung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis. Diesem Ziel dient auch die Steueraufsicht (s. Rz. 24). Die §§ 386, 385 Abs. 2 AO sowie § 208 AO normieren für die Finanzbehörden eine Aufgabenerweiterung. Ihnen wird durch § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO die Kompetenz für die Verfolgung von Steuerstraftaten[3] und Steuerordnungswidrigkeiten[4] eingeräumt.[5] Davon zu trennen sind die Befugnisnormen der AO. Während § 208 AO allein die Zuständigkeit regelt, ergeben sich aus den übrigen Vorschriften der AO die Befugnisse, die der Finanzbehörde innerhalb dieser Zuständigkeit zur Verfügung stehen.

1.2 Strafprozessuale Organisationsstruktur der Finanzbehörden

 

Rz. 2

Die von der AO zur Erfüllung der strafprozessualen Aufgabe (s. Rz. 1) vorgesehene Organisationsstruktur der Finanzbehörde orientiert sich an den Organisationsstrukturen im Justizbereich. Die Strafverfolgung und Ermittlung im Strafverfahren[1] obliegt der Staatsanwaltschaft.[2] Diese ist "Herrin des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens".[3]

Die Staatsanwaltschaft kann die Ermittlungen gem. § 161 S. 1 StPO selbst durchführen oder durch die Behörden oder Beamten des Polizeidienstes vornehmen lassen. Hierzu sind in der Polizeiorganisation nach § 152 GVG besondere "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" zu bestellen. Der Schwerpunkt der eigentlichen Ermittlungsarbeit liegt im polizeilichen Bereich. Die Behörden oder Beamten des Polizeidienstes haben nach § 163 Abs. 1 StPO die eigene Pflicht, Straftaten zu erforschen. Ihnen obliegt der sog. "erste Zugriff", nicht aber die Lenkung und der Abschluss des Verfahrens. Diese Grundverantwortung verbleibt bei der Staatsanwaltschaft.[4]

 

Rz. 3

Soweit § 386 AO der Finanzbehörde eine eigene Ermittlungskompetenz für Steuerstraftaten einräumt[5], nimmt nach § 399 Abs. 1 AO die Finanzbehörde die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft (s. Rz. 2) wahr. Finanzbehörde im strafprozessualen Sinn sind nach § 386 Abs. 1 AO das FA, das Hauptzollamt, das Bundesamt für Finanzen und die Familienkasse.[6] Im Zug der fachlichen Spezialisierung und Zentralisierung gem. § 387 Abs. 2 AO wird diese Aufgabe überwiegend von zentralisierten "Strafsachenstellen" wahrgenommen.

Die strafprozessualen polizeilichen Aufgaben (s. Rz. 2) werden gem. § 404 AO den "Fahndungsstellen" zugewiesen, d. h. den Zollfahndungsämtern oder den mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen, deren Amtsträger nach § 404 S. 2 AO kraft Gesetzes die Rechtsstellung von "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" (s. Rz. 2) haben.

1.3 Entstehung und Normzweck des § 208 AO

 

Rz. 4

Die unter der Bezeichnung "Steuer- bzw. Zollfahndung" (zukünftig abgekürzt als Fahndung bezeichnet) von den Finanzbehörden ausgeübte Tätigkeit wurde in § 208 AO auf Vorschlag des Finanzausschusses[1] ins Gesetz aufgenommen worden.[2]

Die letzte Änderung erfuhr die Vorschrift durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019.[3] Die Ersetzung des Wortes "Zollfahndungsämter" in den Abs. 1 und 2 erfolgte aus redaktionellen Gründen und lautet nunmehr "Behörden des Zollfahndungsdienstes".[4] Damit wird die Bezeichnung der Behörde in § 208 AO angepasst an die gängige Behördenbezeichnung im ZfdG.

 

Rz. 5

Zweck der Vorschrift ist im Hinblick auf die Doppelaufgabe der Finanzbehörden (s. Rz. 1) nach der Formulierung des Ausschussberichts (s. Rz. 4) die gesetzliche Klärung der Frage, "in welchen Fällen die Steuerfahndung tätig werden kann und nach welchen Vorschriften sich das Verfahren bei der Durchführung von Steuerfahndungsmaßnahmen richtet" (s. hierzu Rz. 10). Diesem Ziel wird die Vorschrift allerdings nicht vollständig gerecht.[5]

[1] BT-Drs. 7/4292, 36.
[2] Wolter, INF 1975, 397.
[3] BGBl I 2019, 2451.
[4] BT-Drs. 19/13436, 193.
[5] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 208 AO Rz. 15; Schick, in HHSp, AO/FGO, § 208 AO Rz. 2f.

1.4 Überblick über den Regelungsinhalt des § 208 AO

1.4.1 Organisationsnorm für die Fahndung

 

Rz. 6

§ 208 AO begründet für die Fahndung Spezialaufgaben und Sonderbefugnisse. Diese sind innerhalb der Verwaltungsorganisation Spezialdienststellen. Die Sonderstellung wird deutlich bei der Gegenüberstellung der Aufgaben der Fahndung einerseits und denen der FÄ bzw. Hauptzollämter andererseits. Nach § 208 Abs. 3 AO werden die Aufgaben und Befugnisse der FÄ bzw. Hauptzollämter durch die Aufgabenzuweisung an die Fahndung nicht berührt (s. Rz. 11). Nac...

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