Rz. 17

Die Bestimmung des Rechtscharakters der Ermittlungstätigkeit der Fahndung nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO hat Bedeutung einerseits für den Rechtsweg gegen Ermittlungsmaßnahmen (s. Rz. 21) und andererseits für die Rechtsstellung und Mitwirkungspflicht des Betroffenen (s. Rz. 56).

 

Rz. 18

Die Regelung des § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO hat keine eigenständige Bedeutung, soweit Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Rahmen des anhängigen Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens erfolgt, sondern ist untrennbarer Teil der Erforschung der Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit.[1] Die Tatbestände des Steuerstrafrechts und Steuerordnungswidrigkeitenrechts sind als "Blankettnormen" geschaffen[2], die durch das materielle Steuerrecht ausgefüllt werden. So setzt z. B. der Straftatbestand der Steuerhinterziehung[3] die Feststellung der eingetretenen oder beabsichtigten Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 AO voraus.[4] Hierfür müssen also die Besteuerungsgrundlagen ermittelt werden. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist notwendiger Bestandteil der Feststellung des eingetretenen oder beabsichtigten Taterfolgs und damit der straf- bzw. bußgeldrechtlichen Ermittlungen.

 

Rz. 19

Die Regelung des § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO hat aber darüber hinaus eigenständige Bedeutung.[5] Gegenstand der Ermittlungsbefugnis nach Nr. 2 ist nach dem Gesetzeswortlaut der "in Nr. 1 bezeichnete Fall", d. h. der die "Tat" ausmachende bestimmte Lebenssachverhalt. Dieser "Fall" ist auf seine steuerrechtliche Relevanz zu untersuchen. Die straf- bzw. bußgeldrechtliche Erforschung und die steuerliche Ermittlung ist schon wegen der unterschiedlichen Beweisgrundsätze in den jeweiligen Verfahren notwendig nicht deckungsgleich. Im Straf- und Bußgeldverfahren gilt z. B. bei auch dort zulässigen Schätzungen der Grundsatz "in dubio pro reo", während für die Besteuerung mithilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen das materiell "richtige" Ergebnis erreicht werden soll, ggf. mit einem Unsicherheitszuschlag zulasten des Stpfl..[6] Strafrechtlich nicht mehr relevante und damit im Strafverfahren nicht mehr verfolgbare Taten oder Teile der Tat können jedoch Steueransprüche begründen, die im Einzelfall durchaus noch festgesetzt und erhoben werden können, wenn z. B. die für die verkürzte Steuer längere Festsetzungsfrist[7] noch nicht abgelaufen ist. Ohne die besondere Regelung des § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO wäre im Hinblick auf die eingeschränkte Verfolgbarkeit des Sachverhalts hinsichtlich dieser Taten oder Tatteile (s. Rz. 13b) die Fahndung hiernach nicht mehr befugt, steuerlich zu ermitteln.[8] Eine derartige Aufgabenteilung wäre nicht sachdienlich und widerspräche jeglicher Verfahrensökonomie.[9] § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO begründet demgemäß für die Fahndung die Befugnis, diesen "Fall" über die strafrechtliche Relevanz im anhängigen Strafverfahren hinaus kraft eigenen Rechts in vollem Umfang auch hinsichtlich der nur steuerlich relevanten Umstände zu ermitteln.[10] Dies gilt sowohl für die Ermittlung des gesamten Sachverhalts, soweit dies für die Feststellung der Steuerstraftat notwendig ist, als auch für die Ermittlung aller Besteuerungsgrundlagen, die für die Bestimmung der Höhe der verkürzten Steuer erforderlich sind. Dazu kann auch eine Ermittlung in Bezug auf die zutreffende Einkunftsart gehören.[11]

Demgemäß hindert der die Strafverfolgung ausschließende Tod eines Stpfl. nicht an der Ermittlung ihn betreffender Sachverhalte und Besteuerungsgrundlagen.[12]

 

Rz. 20

Die Regelung des § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO begründet für die Fahndung eine über die polizeiliche Aufgabe (s. Rz. 2) hinausgehende steuerliche Aufgabe, gibt ihr ausdrücklich also eine Doppelfunktion.[13] Die Fahndung kann im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeit sowohl strafprozessuale als auch steuerliche Maßnahmen treffen. Nur weil die Fahndung von der Öffentlichkeit zumeist nur in ihrer polizeilichen Funktion gesehen wird, erscheint diese gesetzliche Aufgabenzuweisung nicht als rechtsstaatlich bedenklich.[14]

 

Rz. 21

Allerdings hat die von der h. M. zutreffend angenommene Doppelfunktion der Fahndung (s. Rz. 20) nicht zur Folge, dass der Rechtscharakter der von der Fahndung getroffenen Ermittlungsmaßnahme davon abhängig ist, auf welche Verfahrensvorschrift sie sich beruft.[15] Die Doppelfunktion gewährt der Fahndung kein Gestaltungsrecht hinsichtlich des Rechtswegs und des Inhalts der Mitwirkungspflichten.[16] Die Ermittlungsbefugnisse der Fahndung und die anzuwendenden Rechtsnormen richten sich ausschließlich nach dem objektiv zu bestimmenden Ermittlungszweck im Einzelfall.[17]

Nach der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens und im Umfang der Einleitung (s. Rz. 13a) haben sämtliche Ermittlungsmaßnahmen, die im Zusammenhang mit dem anhängigen Straf- bzw. Bußgeldverfahren stehen, einen strafprozessualen Rechtscharakter, auch wenn die Ermittlungsergebnisse in das Besteuerungsverfahren einfließen oder einfließen könnten.[18]

Nur soweit die Ermittlungsmaßnahme objektiv und offensichtlich keine s...

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