Rz. 49

Nach § 191 Abs. 2 AO ist die Geltendmachung der Haftung nach § 69 AO gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer insoweit gehemmt, als vor Erlass des Haftungsbescheids die zuständige Berufskammer einzuschalten ist (dies gilt entsprechend bei Gesellschaften von Berufsträgern).[1]  Ist der Haftende gleichzeitig Angehöriger mehrerer Berufskammern, z. B. ein zugleich als Rechtsanwalt zugelassener Steuerberater, so sind sämtliche Berufskammern zu hören[2]

Der Berufskammer ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hierdurch wird berücksichtigt, dass der genannte Personenkreis einer besonderen Ehrengerichtsbarkeit unterliegt. Eine Feststellung der Berufskammer, dass das Verhalten des Haftungsschuldners eine Verletzung der Berufspflicht darstellt, ist allerdings nicht Haftungsvoraussetzung. Ob die Voraussetzungen des § 69 AO erfüllt sind und die Haftung geltend gemacht werden soll, hat die Finanzbehörde in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Sie ist an die rechtliche Beurteilung der Berufskammer nicht gebunden. Insbesondere ist insofern zudem auch zu berücksichtigen, dass diese Berufsgruppen einer Interessenkollision derart unterliegen, dass sie zum einen die Interessen ihrer Mandanten wahrnehmen müssen und zum anderen für die Verletzung der diesen Personen obliegenden Pflichten haftbar sein können.[3]

Obgleich die Regelung des § 191 Abs. 2 AO im Interesse des Berufsträgers geschaffen wurde, hat sie doch negative Auswirkungen für ihn, wenn der jeweilige steuerliche Haftungstatbestand unbeschränkt sein gesamtes Vermögen erfasst, wie dies bei einer Haftung nach § 69 AO der Fall ist. Denn Vermögensverfall ist ein Grund die Zulassung eines Rechtsanwalts[4] bzw. eines Steuerberaters[5] zu widerrufen. Insofern wird die jeweilige Kammer auf diesem Weg sogar entsprechende Informationen für ein solches Verfahren erhalten.

 

Rz. 49a

Die Finanzbehörde hat der Berufskammer eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen, es sei denn, dass durch die Fristgewährung die Geltendmachung der Haftung rechtlich oder tatsächlich ausgeschlossen würde. Als angemessen gilt regelmäßig eine Frist von zwei Monaten.[6]

Die Finanzbehörde kann die Stellungnahme der Berufskammer auch fernmündlich einholen.[7] Der Verstoß gegen diese Beteiligungspflicht führt nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit gem. § 125 AO[8] eines gleichwohl erlassenen Haftungsbescheids. Entsprechend § 126 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 5 AO ist der Verstoß unbeachtlich, wenn die Beteiligung bis zum Abschluss der finanzgerichtlichen Tatsacheninstanz nachgeholt wird.[9]  Unterlässt die zuständige Berufskammer eine Stellungnahme, hat dies keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des nach Fristablauf erlassenen Haftungsbescheids.[10] Die Finanzbehörde ist zwar an die Stellungnahme der Berufskammer nicht gebunden, hat diese aber im Zuge ihrer Ermessensausübung mit einzustellen.[11]

[1] Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl. 2016, § 191 Rz. 89.
[2] FG Rheinland-Pfalz v. 18.1.1985, 6 K 116/82, EFG 1985, 426; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl. 2016, § 191 Rz. 89.
[3] Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, 172; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl. 2012, Rz. 705.
[6] AEAO zu § 191 Nr. 8; Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, 172.
[8] Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl. 2016, § 191 Rz. 89; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl. 2012, Rz. 707; Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, 172.
[9] S. bei Tod des Berufsangehörigen Rz. 50a; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl. 2012, Rz. 707.
[10] AEAO zu § 191 Nr. 8; Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, 172.
[11] Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, 172.

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