3.2.2.1 Zur Systematik

 

Rz. 34

Abs. 1 Nr. 3 gewährt den Vertrauensschutz auch dann, wenn ein oberster Gerichtshof des Bundes (vgl. Rz. 30) seine Rspr. zuungunsten des Stpfl. ändert, die bisherige günstigere Rspr. der Veranlagung aber zugrunde gelegt worden ist. Geschützt wird jedoch nicht das Vertrauen in den Fortbestand der für den Stpfl. günstigen Rechtsprechung, sondern das Vertrauen des Stpfl. auf die Beständigkeit eines einmal erlassenen Verwaltungsakts.[1]

Grundlage des Vertrauensschutzes ist, dass Entscheidungen der Gerichte, als der verfassungsmäßig berufenen Staatsgewalt zur Auslegung der Gesetze, erhebliche Breitenwirkung entfalten und von Verwaltung und Stpfl. (und den Instanzgerichten) als Grundlage für ihre Entscheidungen i. d. R. akzeptiert werden. Die Entscheidungen der (obersten) Gerichte haben daher eine in ihrer verfassungsmäßigen Kompetenz begründete erhöhte Autorität; dies erfordert, das Vertrauen in sie zu schützen.

 

Rz. 35

Jedoch besteht insoweit ein gewisser Wertungswiderspruch, als Gerichtsurteile immer nur einen Einzelfall entscheiden und formal nur die jeweiligen Parteien binden. Das Urteil kann also ergehen, obwohl dem Gericht nicht alle Aspekte von Fällen dieser Art vorlagen, weil der entschiedene Fall keinen Anlass bot, diese Aspekte einzubeziehen. Die Verallgemeinerung von Gerichtsurteilen ist daher immer mit dem Risiko verbunden, dass weitere Aspekte in vergleichbaren Fällen auftauchen können, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen können. Der Vertrauensschutz des Stpfl. steht also im Spannungsfeld zwischen der Breitenwirkung einer Entscheidung des Gerichts aufgrund seiner verfassungsmäßigen Kompetenz zur Rechtsauslegung und der sachlich auf den Einzelfall eingeschränkten Beurteilungsbasis dieser Entscheidung.

3.2.2.2 Änderung einer Steuerfestsetzung

 

Rz. 35a

Voraussetzung für die Anwendung des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO ist, dass eine Änderung einer Steuerfestsetzung erfolgen soll und diese Änderung ohne Berücksichtigung des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO zulässig wäre. Es muss also ein Änderungstatbestand vorliegen und es darf noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sein. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist auf den Zeitpunkt der Änderung der Steuerfestsetzung zu beurteilen. Sollte das zur USt ergangene Urteil des BFH v. 25.4.2013[1] so zu verstehen sein, dass es auf den Zeitpunkt des Ergehens der geänderten Rechtsprechung ankommt, also ein danach erfolgender Ablauf der Festsetzungsfrist der Änderung nicht entgegensteht, wird dem nicht zugestimmt. Eine Änderung einer Steuerfestsetzung ist grundsätzlich, unabhängig davon, ob ein Vertrauensschutz eingreift oder nicht, nur zulässig, wenn die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Ausnahmen davon müssten, wie bei § 174 Abs. 4 S. 3 AO, gesetzlich geregelt sein. Das ist für § 176 AO nicht der Fall.

3.2.2.3 Änderung der Rechtsprechung

 

Rz. 36

Es muss sich um eine Änderung der Rspr. eines obersten Gerichtshofs des Bundes handeln (also i. d. R. des BFH). Der Tatbestand erfordert daher, dass ein oberster Gerichtshof des Bundes die Rspr. eines obersten Gerichtshofs des Bundes ändert. Das Gericht muss also eine Rechtsfrage in einem im Wesentlichen gleich gelagerten Fall anders entscheiden als in einer früheren Entscheidung. Es genügt die Abweichung von einer einzigen Entscheidung; die Änderung einer ständigen und gefestigten oder einer bereits einmal geänderten Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Die Abweichung von der Rspr. eines anderen Gerichts genügt nicht, also etwa nicht die Abweichung des BFH von der Rspr. des RFH[1] oder die Abweichung des BFH von der Rspr. eines FG. Der umgekehrte Fall, die Abweichung der Rspr. des FG von der des BFH, ist kein Fall des § 176 AO, sondern der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO.[2]

 

Rz. 37

Vertrauensschutz tritt nur ein, wenn die Rechtsprechung sich ändert, d. h. der BFH eine vorher zugunsten des Stpfl. entschiedene Rechtsfrage jetzt anders entscheidet. Kein Vertrauensschutz tritt ein, wenn die Rechtslage bisher unklar war und nun der BFH erstmals eine Entscheidung dieser Rechtsfrage trifft, und diese Entscheidung für den Stpfl. ungünstig ist.[3]

 

Rz. 38

Aus § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO ergibt sich die Lösung einer bisher strittigen Frage, ob die Gerichte überhaupt berechtigt sind, eine verschärfende Rspr. auf in der Vergangenheit verwirklichte Sachverhalte anzuwenden. § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO ist nur verständlich, wenn eine solche rückwirkende Anwendung der verschärfenden Rspr. als zulässig unterstellt wird. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen nicht. Die Rspr. setzt kein neues Recht, sodass das Verbot der rückwirkenden belastenden Rechtsänderung nicht eingreift. Die Rspr. findet nur das bisher schon bestehende Recht durch Interpretation. Eine Änderung der Rspr. ist daher nicht Setzen neuen Rechts, sondern nur bessere Erkenntnis des bisher schon bestehenden Rechtszustan...

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