Rz. 135

§ 174 Abs. 4 AO setzt als Regelfall voraus, dass eine Änderung eines Steuerbescheids aufgrund eines Rechtsbehelfs oder Antrags erfolgt, und danach, also nachträglich, die richtigen steuerlichen Konsequenzen durch Erlass oder Änderung eines weiteren Steuerbescheids gezogen werden. Voraussetzung für den Erlass oder die Änderung des zweiten Steuerbescheids ist also, dass der erste Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wurde. § 174 Abs. 4 AO ist daher nicht anwendbar, wenn der fragliche Steuerbescheid nicht geändert wurde, sondern die Finanzverwaltung im Gegenteil die Änderung oder Aufhebung dieses Steuerbescheids abgelehnt hatte.[1] Ebenfalls gilt Abs. 4 nicht für bloße formelle Fehler des Steuerbescheids (Adressierung an den richtigen Steuerschuldner, aber fehlerhafte Bekanntgabe). Abs. 4 erfasst nur Fehler in der Sachverhaltsbeurteilung, nicht formelle Fehler bei richtig beurteiltem Sachverhalt.[2]

 

Rz. 136

Die Vorschrift setzt die Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheids voraus. Steuerbescheid in diesem Sinn sind alle Verwaltungsakte, denen das Gesetz die Qualifikation eines Steuerbescheids zuerkennt. Daher sind auch Steueranmeldungen nach § 168 AO Steuerbescheide. Nicht anwendbar ist die Vorschrift dagegen auf Haftungsbescheide. Erfolgt dagegen eine Steuerfestsetzung, weil der Haftungsschuldner keine Steueranmeldung abgegeben hat, oder erkennt er seine Zahlungspflicht schriftlich an, handelt es sich nach § 167 Abs. 1 S. 1, 3 AO um Steuerbescheide, auf die Abs. 4 anwendbar ist, auch wenn es sich materiell um eine Haftungsschuld handelt.[3]

 

Rz. 137

Aufgrund der irrigen Beurteilung des Sachverhalts muss ein Steuerbescheid ergangen sein, dessen Aufhebung oder Änderung Anlass für die Änderung des Steuerbescheids bietet, in dem der Sachverhalt richtigerweise zu berücksichtigen ist. Handelt es sich um einen Feststellungsbescheid, genügt auch eine negative Feststellung zur Anwendung des Abs. 4.[4] Bei dem Steuerbescheid, der ergangen ist, kann es sich auch um eine Steueranmeldung handeln, die nach § 168 AO die Wirkung einer Steuerfestsetzung hat.[5] Ist ein KSt-Bescheid hinsichtlich der Auswirkungen einer Ausschüttung nach § 38 KStG geändert oder aufgehoben worden, ermöglicht Abs. 4 demgemäß eine entsprechende Änderung der KESt-Festsetzung, die auf einer Steueranmeldung beruht. Die Finanzbehörde ist in diesem Fall nicht auf den Erlass eines Nacherhebungsbescheids angewiesen.[6]

 

Rz. 138

Der aufgehobene oder geänderte Bescheid darf nicht nichtig gewesen sein. Das folgt schon daraus, dass ein nichtiger Bescheid nicht "aufgehoben oder geändert" werden kann. Ist der Bescheid nichtig, ist Abs. 4 nicht anwendbar. Diese Regelung ist auch nach dem Sinn der Vorschrift gerechtfertigt. Die Durchbrechung der Bestandskraft und der Festsetzungsfrist nach Abs. 4 rechtfertigt sich dadurch, dass der Sachverhalt wirksam in einem Steuerbescheid erfasst ist, wenn auch unrichtig; der Stpfl. muss daher mit der Besteuerung dieses Sachverhalts rechnen. Das liegt jedoch bei einem nichtigen Steuerbescheid nicht vor; hier fehlt es an einer wirksamen, wenn auch unrichtigen Regelung.[7]

 

Rz. 139

Voraussetzung für die Änderung nach Abs. 4 ist, dass der Stpfl. durch seinen Antrag oder Rechtsbehelf einen Grund für die Änderung des ursprünglichen Bescheids zu seinen Gunsten gesetzt hat.[8] Der rechtfertigende Grund dieser Änderungsvorschrift besteht darin, dass ein Stpfl., der eine Änderung zu seinen Gunsten erstrebt, nicht "auf halbem Weg stehen bleiben darf", sondern die mit der für ihn günstigen Entscheidung denknotwendig verbundenen Nachteile in Kauf nehmen muss. Dies ist ein Ausfluss von Treu und Glauben.[9] Hat der Stpfl. durch seinen Antrag eine für ihn günstige Änderung der Steuerfestsetzung erreicht, muss er auch die damit unmittelbar zusammenhängenden negativen Auswirkungen in anderen Besteuerungszeiträumen hinnehmen. Hat er daher erreicht, dass bei einer verlustbringenden Tätigkeit die Einkunftserzielungsabsicht bejaht wird, können die Bescheide für Vz nach Abs. 4 geändert werden, in denen diese Tätigkeit einen Überschuss erbringt.[10]

 

Rz. 140

Abs. 4 gilt bei jeder Änderung oder Aufhebung eines Steuerbescheids, gleichgültig, ob dies aufgrund eines Rechtsbehelfs im Rechtsbehelfsverfahren durch die Finanzbehörde, aufgrund eines Rechtsmittels durch das FG oder aufgrund eines Antrags des Stpfl. außerhalb eines Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens[11] geschieht. Maßgebend ist nur, dass die Änderung des Bescheids auf einen Rechtsbehelf oder einen Antrag des Stpfl. zurückgeht; nicht erforderlich ist, dass der Stpfl. gerade diese Änderung erstrebt hatte.[12] Es ist nur erforderlich, dass die Änderung auf der Initiative des Stpfl., nicht auf der des FA beruht.

 

Rz. 141

Der Tatbestand des Abs. 4 ermöglicht die Änderung des "irrigen" Bescheids für alle Fälle, in denen der Inhalt des Bescheids nach einer Änderung oder Aufhebung aufgrund eines Antrags oder Rechtsbehelfs des Stpfl. unvereinbar mit der Regelung in einem anderen Bescheid is...

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