Rz. 98

Der entscheidende Zeitpunkt für die Frage, ob eine Tatsache bekannt ist, ist der der abschließenden Zeichnung der Veranlagung oder des Eingabewertbogens durch den für die Entscheidung zuständigen Beamten. Dies ist der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des Beamten abgeschlossen ist.[1] Nicht maßgebend ist der Zeitpunkt der Absendung des Steuerbescheids, da zwischen abschließender Zeichnung und Absendung des Bescheids keine sachliche Prüfung mehr zu erfolgen pflegt.[2] M. E. ist der Gegenmeinung nicht zu folgen, da sie die Finanzbehörde zwingen würde, vor der Absendung des Steuerbescheids diesen erneut zu überprüfen. Ein solches Verhalten kann von der Finanzbehörde in einem Massenverfahren nicht verlangt werden. Zwar ist die Analogie zu § 169 Abs. 1 AO möglich, aber nicht zwingend.[3] § 169 Abs. 1 AO ist eine Vorschrift, die ein effizientes Verwaltungsverfahren bei den Finanzbehörden dadurch ermöglichen soll, dass die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht von den Zufälligkeiten des Postlaufs abhängen soll. Ausgehend von dieser Zielsetzung kann die Vorschrift nicht dazu verwendet werden, das Verwaltungsverfahren zu erschweren und ineffizient zu gestalten. "Nachträglich" i. S. d. § 173 AO sollte weiterhin mit der h. M. als "nach der letzten sachlichen Entscheidung" aufgefasst werden. Die Kenntnis von Tatsachen kann nur im Rahmen des Entscheidungsprozesses von Bedeutung sein, daher nicht mehr, wenn der Entscheidungsprozess abgeschlossen ist. Die Zeitspanne zwischen abschließender Entscheidung und Absendung des Bescheids gehört nicht mehr zu dem behördlichen Entscheidungsprozess.

 

Rz. 99

Im maschinellen Verfahren ist daher der maßgebende Zeitpunkt derjenige der Zeichnung des Eingabewertbogens bzw. der abschließenden Eingabe der Daten, da nach diesem Zeitpunkt keine umfassende sachliche Prüfung mehr erfolgt. Das gilt auch dann, wenn nach diesem Zeitpunkt, aber vor Absendung des Bescheids, neue Tatsachen bekannt werden und der Sachbearbeiter vor Absenden des Bescheids, statt den Erstbescheid anzuhalten, diesen absendet und einen Eingabewertbogen bzw. neue Eingaben für einen Änderungsbescheid fertigt. Es liegt grundsätzlich in der Wahl des Bearbeiters, ob er in das (maschinelle) Veranlagungsverfahren eingreifen oder einen Änderungsbescheid erlassen will.[4] Der BFH berücksichtigt mit dieser Rspr., dass die elektronische Datenverarbeitung nur dann ein wesentliches Hilfsmittel ist, wenn die Verfahrensabläufe möglichst gleichartig sind, nicht unterbrochen und mit geringen manuellen Eingriffen abgewickelt werden. Dagegen kann der Zeitpunkt der Erstellung der Programme nicht entscheidend sein, und zwar auch dann nicht, wenn der Bescheid hierdurch ohne weiteres Zutun der Finanzbehörde erstellt wird.[5] Das Entscheidende an der Erstellung des Bescheids ist der hoheitliche Akt der Steuerfestsetzung, nicht ein maschineller Ablauf. Auch wenn der Bescheid vollständig durch ein maschinelles Programm erstellt wird, ist der maßgebliche Zeitpunkt derjenige, in dem der zuständige Sachbearbeiter entscheidet, dass der Steuerfall mit dieser Steuerfestsetzung geregelt werden soll.

 

Rz. 99a

Besonderheiten bestehen, wenn die Steuerfestsetzung aufgrund einer elektronischen Steuererklärung ausschließlich durch elektronische Verarbeitung erstellt wird. Da dann keine Abzeichnung und Eingabe durch den zuständigen Beamten und somit auch keine Entscheidung durch ihn erfolgt, kann für den Zeitpunkt der "Neuheit" nur auf die Absendung des Bescheids abgestellt werden. In diesem Zeitpunkt erfolgt die (negative) Entscheidung des zuständigen Beamten, den Bescheid nicht manuell zu bearbeiten. Dies ist die letzte maßgebende Entscheidung über den Steuerfall, die daher für den Zeitpunkt maßgebend ist. Hat das maschinelle Risikomanagementsystem zu Prüfhinweisen geführt, ist der maßgebliche Zeitpunkt des Abschlusses der Prüfung bzw. die Entscheidung des Beamten, den Steuerbescheid nicht zu überprüfen, sondern bekanntzugeben.[6]

 

Rz. 100

Gleiche Grundsätze gelten, wenn der maschinell erstellte Bescheid vor Absendung zwar noch geprüft wird, die Prüfung aber nur formelle Fragen erfasst, z. B. richtige Adressierung, Prüfung der richtigen Eingabe der Werte, Plausibilitätskontrolle.[7]

Ergeht bei Erstellung des Steuerbescheids ein maschineller Hinweis, einzelne Besteuerungsgrundlagen zu überprüfen, oder überprüft der Sachbearbeiter einzelne Besteuerungsgrundlagen von sich aus (z. B. bestimmte Einkünfte, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen), so erfolgt eine neue Willensbildung. Für die Neuheit von Tatsachen ist der Zeitpunkt dieser erneuten Willensbildung (Überprüfung) maßgebend. Das gilt allerdings nur punktuell für die überprüften Besteuerungsgrundlagen. Neue Tatsachen, die diese überprüften Besteuerungsgrundlagen betreffen, müssen verwertet werden.[8] Soweit die Überprüfung nicht reicht, bleibt es bei dem Zeitpunkt der ursprünglichen Abzeichnung des Eingabewertbogens bzw. dem Zeitpunkt der ursprünglichen Eingabe als des maßgebenden Zeitpunkts. Be...

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