Rz. 196

Abs. 14 ist durch Gesetz v. 19.12.1985, BStBl I 1985, 735[1] eingefügt worden. Die Vorschrift gilt für alle Festsetzungsfristen, die bei Inkrafttreten des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 am 1.1.1987 noch nicht abgelaufen waren.[2] Nach Abs. 14 läuft die Festsetzungsfrist für eine Steuerfestsetzung nicht ab, soweit ein Erstattungsanspruch des Stpfl. aus derselben Steuerart und demselben Besteuerungszeitraum noch nicht nach § 228 AO verjährt ist. Damit soll verhindert werden, dass eine Steuer nur deshalb zu erstatten ist, weil die Steuerfestsetzung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr erfolgen kann, der Erstattungsanspruch aber selbst nicht verjährt ist. Die Vorschrift soll daher die Erstattung von Steuern vermeiden, die nur dadurch entstehen, dass die Festsetzungsfrist mit 4 Jahren kürzer ist als die Frist für die Zahlungsverjährung von 5 Jahren.[3] Ein Bedürfnis für diese Regelung kann sich daraus ergeben, dass erst nach längerer Zeit aufgrund eines Rechtsbehelfsverfahrens feststeht, dass eine Steuerfestsetzung unwirksam ist, etwa wegen fehlender wirksamer Bekanntgabe. Da ein solcher unwirksamer Bescheid die Festsetzungsfrist nicht wahren konnte[4] und daher auch keine Ablaufhemmung nach Abs. 3 eingetreten ist (vgl. Rz. 17), kann in solchen Fällen die Festsetzungsfrist abgelaufen sein, sodass eine erneute, jetzt wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheids nicht mehr erfolgen kann. In diesen Fällen soll, wenn schon die ausstehende (ausgesetzte) Steuerforderung nicht mehr realisiert werden kann, wenigstens die bereits gezahlte Steuer nicht erstattet werden müssen.

 

Rz. 197

Die Vorschrift ist jedoch nicht auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen eine Steuerfestsetzung aus formalen Gründen aufgehoben worden ist, sondern ist über diesen Anlass für die Gesetzesänderung hinaus allgemein formuliert, erfasst also auch Fälle, in denen keine Steuerfestsetzung erfolgt ist. Sie erfasst auch Fälle, in denen die Steuer von Anfang an rechtsgrundlos gezahlt wurde, z. B. weil die Steuerfestsetzung nicht wirksam geworden oder überhaupt keine Steuerfestsetzung erfolgt ist. Erfasst werden beispielsweise auch Fälle, in denen der Rechtsgrund später weggefallen ist, z. B. weil die Steuerfestsetzung aufgehoben wurde, oder der Stpfl. freiwillig a-conto-Zahlungen leistete, z. B. in Fällen der Selbstanzeige. Die Vorschrift erfasst daher jeden mit dem Steueranspruch zusammenhängenden Erstattungsanspruch.[5] Die Finanzbehörde kann in diesen Fällen trotz Eintritts der Festsetzungsverjährung Steuerfestsetzungen nachholen, soweit noch keine Zahlungsverjährung, § 228 AO, eingetreten ist.

 

Rz. 198

Die Vorschrift verschiebt die Grenze der Berücksichtigung der beiden Rechtsprinzipien der materiellen Steuergerechtigkeit und der Rechtssicherheit zugunsten der Steuergerechtigkeit, indem die Rechtssicherheit durch Ablauf der Festsetzungsfrist eingeschränkt wird. Dies ist eine sachlich mögliche und angemessene Abgrenzung des Regelungsbereichs der beiden Prinzipien und liegt daher im Ermessensbereich des Gesetzgebers. Es liegt daher kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vor. Die Vorschrift verstößt auch nicht gegen das Gleichheitsgebot, Art. 3 GG. Zwar werden Stpfl., die die Steuer noch nicht gezahlt haben, und solche, die das getan haben, ungleich behandelt, da bei Eintritt der Festsetzungsverjährung Stpfl., die die Steuer noch nicht gezahlt haben, unbelastet bleiben, während Stpfl., die die Steuer entrichtet haben, keine Erstattung erhalten und daher belastet bleiben. Die unterschiedliche Behandlung ist aber sachlich gerechtfertigt, da ein Stpfl., der nicht gezahlt hat, sich gegen die Steuerfestsetzung wehren muss und das FA im Rahmen des Einspruchs- und Klageverfahrens frühzeitig auf etwaige Fehler in der Steuerfestsetzung aufmerksam gemacht wird und diese korrigieren kann. Hat der Stpfl. die Steuer aber entrichtet, kann er abwarten, bis die Festsetzungsfrist abgelaufen ist und dann Erstattung verlangen. Diese unterschiedliche Situation rechtfertigt eine unterschiedliche Regelung. Abs. 14 ist daher nicht verfassungswidrig.[6]

 

Rz. 199

Grundlage der Regelung ist, dass ein Erstattungsanspruch entsteht, obwohl die Steuer noch nicht (wirksam) festgesetzt worden ist. Wie die Stellung des Abs. 14 in § 171 AO ergibt, handelt es sich um eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist durch das Entstehen des Erstattungsanspruchs. Eine wirksame Hemmung der Festsetzungsfrist kann aber nur eintreten, wenn das Ereignis, das die Hemmung hervorruft, zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Eine bereits abgelaufene Festsetzungsfrist kann nicht mehr gehemmt werden. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung bringt den Steueranspruch zum Erlöschen. Er kann nicht durch eine später eintretende Hemmung wieder aufleben. Tatbestände der Ablaufhemmung, die nach Ablauf der Festsetzungsfrist eintreten, gehen daher ins Leere. Eine einmal abgelaufene Festsetzungsfrist wird also nicht erneut in Gang gesetzt. Das bedeutet, dass ...

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