Rz. 101

Die Finanzbehörde ist berechtigt, nicht aber verpflichtet, den Steuerfall erneut aufzugreifen. Sie kann stattdessen den Ablauf der Festsetzungsfrist abwarten, mit dem der Vorbehalt kraft Gesetzes entfällt.[1] Mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist entfällt nach § 164 Abs. 4 S. 1 AO der Vorbehalt. Das gilt gem. § 181 Abs. 1 S. 1 AO i. V. m. § 164 Abs. 4 S. 1 AO auch für den Ablauf der Feststellungsfrist, wenn eine gesonderte Feststellung unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist.[2]

 

Rz. 102

Die Finanzbehörde kann auch, ohne den Sachverhalt abschließend geprüft zu haben, den Vorbehalt aufheben.[3] Dies steht im Ermessen der Finanzbehörde. Hebt die Finanzbehörde den Vorbehalt der Nachprüfung trotz eines noch anhängigen Änderungsantrags nach § 164 Abs. 2 S. 2 AO auf, handelt sie ermessensfehlerhaft, weil sie den Änderungsantrag des Stpfl. verfahrensrechtlich zur Erledigung zwingt.[4] Da die Rechtswidrigkeit aber nicht zur Nichtigkeit des Aufhebungsbescheids nach § 125 Abs. 1 AO führt, ist der Stpfl. in diesen Fällen gehalten, Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid einzulegen.[5]

Stellt sich erst nach bestandskräftiger Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts heraus, dass ein zuvor ergangener Änderungsbescheid nach § 164 Abs. 2 AO unwirksam ist, bleibt dem Stpfl. nur die Möglichkeit, seinen Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach § 110 AO zu verbinden und die unerkannte Unwirksamkeit des Änderungsbescheids glaubhaft zu machen.[6]

Die Aufhebung des Vorbehalts braucht nicht begründet zu werden, ebenso wie die Finanzbehörde nicht zu begründen braucht, warum sie einen Steuerbescheid vorbehaltlos erlässt.[7]

Die Aufhebung des Vorbehalts hat die Wirkung eines vorbehaltlosen Steuerbescheids und unterliegt daher den Voraussetzungen eines Steuerbescheids. Sie hat daher schriftlich oder elektronisch zu erfolgen[8] und ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Das bedeutet, dass die Aufhebung von dem Willen der Finanzbehörde getragen werden muss. Hatte die Finanzbehörde einen solchen Regelungswillen nicht, sondern wird die Aufhebung des Vorbehalts durch einen maschinellen Fehler o. Ä. bewirkt, bleibt der Vorbehalt bestehen. Die Aufhebung des Vorbehalts stellt dann keinen Verwaltungsakt, sondern einen "Nichtakt" dar.[9]

 

Rz. 103

Ein FA ist nicht verpflichtet, bei der Aufhebung eines Nachprüfungsvorbehalts nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO zusätzlich auf deren Folgen hinzuweisen oder die Einlegung eines Einspruchs zu empfehlen, weil eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO danach nicht mehr in Betracht kommt.[10] Auch ist eine der Einspruchsentscheidung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig i. S. des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO, wenn das FA in der Einspruchsentscheidung sowohl über den Einspruch entschieden als auch den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben hat und in der Rechtsbehelfsbelehrung ausführt, gegen die Entscheidung könne nur Klage beim FG erhoben werden.[11]

 

Rz. 104

Wird der Vorbehalt im Einspruchsverfahren aufgehoben, braucht vorher kein Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO zu ergehen. Zwar kann die Aufhebung des Vorbehalts verbösernd wirken. Der Stpfl. kann die Aufhebung des Vorbehalts jedoch nicht durch Rücknahme des Einspruchs verhindern, da der Vorbehalt auch dann aufgehoben werden kann.[12] Lediglich, wenn die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist und durch die Einspruchsentscheidung mit Aufhebung des Vorbehalts Verjährung eintritt, ist ein Verböserungshinweis erforderlich.

 

Rz. 105

Die Finanzbehörde ist nicht verpflichtet, das Besteuerungsverfahren mit einer "umfassenden und von aller Sorgfalt getragenen Sachaufklärung", also einer abschließenden Prüfung des Steuerfalls abzuschließen.[13] Für diese Ansicht gibt es keine Grundlage im Gesetz, erst recht nicht seit Einführung der automationsgestützten Veranlagung[14] und des Einsatzes eine Risikomanagementsystems[15], in dessen Rahmen die Verwaltung auch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ausdrücklich berücksichtigen darf.[16] Gleichwohl darf der Einsatz automationsgestützter Systeme nicht zu einem strukturellen Vollzugsdefizit und zu einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach Art. 3 Abs. 1 GG führen.[17]

 

Rz. 106

Wird der Steuerfall nochmals überprüft, liegt der Umfang der Überprüfung, ebenso wie die Entscheidung, ob überhaupt eine Überprüfung vorgenommen wird, im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung. Ist diese Überprüfung ohne Ergebnis, ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn keine weitere Überprüfung vorgesehen ist oder die Prüfung umfassend war. Ein Bestehenlassen des Vorbehalts wäre ein Rechtsverstoß.[18] Handelte es sich nur um eine punktuelle Überprüfung, und erscheint eine weitere Überprüfung als nicht ausgeschlossen, kann der Vorbehalt aufrechterhalten werden.

 

Rz. 107

Wird aufgrund der Nachprüfung die Steuerfestsetzung zugunsten oder zuungunsten des Stpfl. geändert, kann die Verwaltung die Steuerfestsetzung abermals mit dem Vorbehalt der Nachprüfung versehen, wenn sie den Steu...

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