Rz. 182

Würdigkeit liegt vor, wenn der Stpfl. die Bedürftigkeit nicht selbst schuldhaft herbeiführt und in seinem ganzen steuerlichen Verhalten nicht grob gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat. Unwürdigkeit liegt etwa vor, wenn der Stpfl. hohe Investitionen vorgenommen hat, ohne dass die Finanzierung gesichert war. Würdigkeit ist demgegenüber stets gegeben, wenn die Bedürftigkeit auf Alter, Krankheit, Naturkatastrophen oder der Einwirkung von Dritten einschließlich der Behörden oder den politischen Verhältnissen beruht. Alkohol- und Drogenabhängigkeit sind Krankheiten und schließen Würdigkeit nicht aus.[1] Unerfahrenheit schließt die Würdigkeit nicht aus, wohl aber Nachlässigkeit, Leichtsinn und mangelnder Wille.[2] Die Tätigkeit als Strohmann ist gemeinschaftswidrig und führt zur Unwürdigkeit.[3]

 

Rz. 183

Unwürdigkeit infolge des Verstoßes gegen die Interessen der Allgemeinheit ist gegeben, wenn die Steuern hinterzogen waren, auch wenn Selbstanzeige erstattet worden ist, wenn die sonstigen steuerlichen Verpflichtungen (z. B. Steuererklärungspflichten) nicht erfüllt wurden[4], oder wenn die ursprünglich vorhandenen Mittel anderweitig verwendet, verspielt, verschwendet oder verschenkt worden sind.[5] Ein hoher Aufwand allein schließt die Würdigkeit nicht schlechthin aus, kann aber bei der Beurteilung der Höhe der Billigkeitsmaßnahme eine Rolle spielen.[6] Ebenso kann trotz Verletzung der Erklärungs- und anderer Mitwirkungspflichten Würdigkeit bestehen, wenn die Pflichtverletzung auf Alter, Krankheit usw. zurückzuführen ist.[7]

 

Rz. 184

Die Unwürdigkeit für eine Billigkeitsmaßnahme kann sich immer nur aus einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ergeben, nie aus nur einem Aspekt. So begründet zwar eine strafbare Handlung (Steuerhinterziehung, leichtfertige Steuerverkürzung) i. d. R. die Unwürdigkeit, eine Billigkeitsmaßnahme ist aber trotzdem möglich, wenn die sonstigen Umstände das Verhalten des Stpfl. als weniger schwerwiegend erscheinen lassen, z. B. das ernsthafte Bemühen, die Folgen der Tat wieder gutzumachen[8], oder wenn die Notwendigkeit einer Billigkeitsmaßnahme auch bei korrektem steuerlichem Verhalten entstanden wäre.[9] Das FA handelt also ermessensfehlerhaft, wenn es die Billigkeitsmaßnahme allein deshalb ablehnt, weil der Stpfl. Steuerhinterziehung begangen hat, ohne das nachfolgende Verhalten des Stpfl. zu würdigen, und ohne die fehlende Erlasswürdigkeit gegen die Bedürftigkeit abzuwägen. Eine Selbstanzeige ist für sich allein jedoch kein Grund für eine Billigkeitsmaßnahme. Andererseits liegt Würdigkeit nicht vor, wenn der Stpfl. keine erkennbaren Anstrengungen unternimmt, die hinterzogenen Steuern wenigstens teilweise zu begleichen.[10]

 

Rz. 185

Würdigkeit liegt ferner nur vor, wenn der Stpfl. trotz seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Gewähr dafür bietet, dass er seine steuerlichen Pflichten in Zukunft erfüllen wird. Der Verzicht auf entstandene Abgaben darf nicht dazu führen, den Stpfl. in die Lage zu versetzen, erneut Erträge zu erwirtschaften, die er wiederum nicht der Besteuerung unterwerfen wird.[11]

 

Rz. 186

Schließlich liegt Würdigkeit i. d. R. nur dann vor, wenn dem Stpfl. nicht zugemutet werden konnte, sich auf die Steuerzahlung durch Bildung von Rücklagen einzustellen.[12] War die Steuerschuld für den Stpfl. voraussehbar, und war er in der Lage, durch Rücklagenbildung hierfür Vorsorge zu treffen, schließt eine anderweitige Verwendung der Mittel die Würdigkeit aus.

 

Rz. 187

Allgemein ist eine Billigkeitsmaßnahme dann ausgeschlossen, wenn der Stpfl. durch Verweigerung der Mitwirkung verhindert, dass Würdigkeit und Bedürftigkeit beurteilt werden können. Der Stpfl. hat die Obliegenheit, auch über seine strengen rechtlichen Verpflichtungen hinaus an der Feststellung der maßgeblichen Sachverhalte mitzuwirken. Insoweit liegt die Verantwortung für fehlende Feststellungen bei dem Stpfl.[13] Den Stpfl. trifft die Obliegenheit, an der Ermittlung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken und geeigneten Maßnahmen der Finanzbehörde zur Ermittlung seiner wirtschaftlichen Verhältnissen zustimmen, z. B. Liquiditätsprüfungen. Hierzu besteht keine Verpflichtung im strengen rechtlichen Sinn, sodass die Erfüllung dieser Obliegenheit nicht erzwungen werden kann. Erfüllt der Stpfl. diese Obliegenheit nicht, können Rechtsnachteile für den Stpfl. eintreten. Insbesondere kann die Finanzbehörde die Billigkeitsmaßnahme ablehnen.

[2] Zur Würdigkeit, wenn der Stpfl. die ihm zur Verfügung stehenden Verdienstmöglichkeiten nicht ausnutzt, vgl. FG Berlin v. 17.3.1981, V 197-199/80, EFG 1981, 608; vgl. auch FG des Saarlandes v. 23.6.1994, 2 K 138/92, EFG 1995, 152; BFH v. 30.9.1996, X B 131/96, BFH/NV 1997, 326 für die grundlose Aufgabe eines Beschäftigungsverhältnisses.
[4] FG Bremen v. 21.6.1983, II 148, 175/82 K, EFG 1984, 10; FG Bremen v. 17.10.1989, II 193/88 K, EFG 1990, 612; BFH v. 9.2.19...

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