Rz. 154

Der Schätzungsbescheid ist ein Steuerbescheid, auf den die §§ 118ff. AO sowie alle Vorschriften der §§ 155ff. AO anwendbar sind. Dem Stpfl. ist im Schätzungsverfahren rechtliches Gehör zu gewähren. Vor der Durchführung der Schätzung muss er darauf hingewiesen werden, dass eine Schätzung erfolgen kann und ihm Gelegenheit gegeben werden, Besteuerungsgrundlagen mitzuteilen. Zu diesem Zeitpunkt brauchen dem Stpfl. aber nicht die Methoden und die voraussichtliche Höhe der Besteuerungsgrundlagen, die sich aus der Schätzung ergeben werden, mitgeteilt zu werden.[1]

Der Schätzungsbescheid ist nach § 121 AO durch Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen zu begründen.[2] Eine Begründung kann nach § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO entbehrlich sein, wenn dem Stpfl. die Ansicht der Finanzverwaltung bereits bekannt ist. Das kann der Fall sein, wenn die Schätzung im Einzelnen in einem Außenprüfungsbericht dargestellt ist. Ist eine Begründung erforderlich, braucht sie nicht den gesamten Schätzungsvorgang nachzuvollziehen; vielmehr genügt es, den Grund für die Schätzung, die Schätzungsmethode, die bei der Schätzung angesetzten tragenden Faktoren und das Ergebnis der Schätzung anzugeben.[3] Insbesondere müssen Tatsachen, auf die die Schätzung gestützt werden soll und die dem Stpfl. bisher unbekannt waren, mitgeteilt werden. Das gilt auch für die Ergebnisse von Vergleichsbetrieben (äußerer Betriebsvergleich), wenn diese zur Begründung der Schätzung herangezogen werden. Auch die Überlegungen der Finanzbehörde zur Ausfüllung des Beurteilungsspielraums sind dem Stpfl. zur Gewährung des rechtlichen Gehörs mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zu geben, abweichende Beurteilungsgesichtspunkte vorzubringen. Die Schätzungsmethode ist dem Stpfl. mitzuteilen, um ihn in die Lage zu versetzen, hierfür erforderliche Tatsachen vorzubringen. Weitere Einzelheiten der Schätzung, insbesondere die Rechenschritte, sind dem Stpfl. jedoch auf Nachfrage bekannt zu geben. Wird der Schätzungsbescheid geändert, ist dem Stpfl. ein etwaiger Wechsel der Schätzungsmethode vorher mitzuteilen, nicht jedoch das voraussichtliche Ergebnis der neuen Schätzung.[4] Hat der Stpfl. jedoch eine Steuererklärung abgegeben und weicht das FA von den Angaben des Stpfl. ab, genügt die Angabe der Abweichungen nicht. Hier muss das FA die Überlegungen, die zur Abweichung von den Angaben des Stpfl. geführt haben, sowie die Schätzungsmethode und die Rechenschritte, die dem Schätzungsergebnis zugrunde lagen, offenlegen.[5] Etwaige Verfahrensfehler können nach § 126 AO bis zur letzten Tatsachenverhandlung geheilt werden.

 

Rz. 155

Problematisch ist die Gewährung des rechtlichen Gehörs, wenn die Schätzung mithilfe von Vergleichsmaterial (z. B. Vergleichsbetrieb, Vergleichsgrundstück) erfolgen soll. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs erfordert es, dem Stpfl. alle Tatsachen mitzuteilen, die für die Entscheidung über den Steueranspruch von Bedeutung sind, damit er sich hierzu äußern kann.[6] Bei der Benutzung von Vergleichsmaterial bedeutet dies, dass dem Stpfl. alle Einzelheiten mitzuteilen sind, damit er die Vergleichbarkeit überprüfen kann. Andererseits dürfen diese Angaben aber nicht so konkret sein, dass eine Identifizierung möglich wäre, da sonst das Steuergeheimnis verletzt wäre.[7] Abweichend hiervon sieht das FG Hamburg[8] in der Offenbarung von Vergleichsmaterial, m. E. zu Unrecht, keinen Verstoß gegen die Geheimhaltungsschutzvorschriften. Lassen sich diese gegensätzlichen Anforderungen nicht in Einklang bringen, muss die Finanzbehörde auf die Verwendung des Vergleichsmaterials verzichten.[9] Abweichend hiervon will es der BFH genügen lassen, wenn das Gericht durch Einsicht in die jeweiligen dem Steuergeheimnis unterliegenden Unterlagen die Vergleichbarkeit prüft.[10] M. E. liegt jedoch ein Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs vor, wenn die Entscheidung (auch) auf Unterlagen gestützt wird, in die der Stpfl. keine Einsicht hatte.

 

Rz. 156

Wird die Steuer aufgrund einer Schätzung festgesetzt, bleibt die Steuererklärungspflicht trotzdem bestehen; die Abgabe der Steuererklärungen kann weiterhin nach §§ 328ff. AO erzwungen werden.[11]

 

Rz. 157

Die Entscheidung über die Schätzung ist Rechtsanwendung, keine Ermessensentscheidung. Das spricht dafür, § 127 AO anzuwenden, wonach die Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form und die örtliche Zuständigkeit nicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts führen, wenn keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden könnte. Zwar steht der Finanzbehörde bei der Schätzung ein besonders weiter Beurteilungsspielraum zu. Auch in Fällen des Beurteilungsspielraums ist § 127 AO jedoch anwendbar. Da das Ergebnis der Schätzung vom Gericht in voller Höhe nachprüfbar ist, besteht kein Anlass, die Anwendung des § 127 AO auszuschließen.[12]

 

Rz. 158

Der Schätzungsbescheid kann unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 AO, oder vorläufig, § 165 AO, ergehen, kann aber auch endgültig sein.[13] Geändert wird der Schätzungsbescheid nach §§...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge