Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsstaatliches Anliegen eines allgemeinen Normenvollzugs bzw. Interesses des Staates an einer geordneten Haushaltswirtschaft geht Individualanspruch auf vorläufigen Rechtsschutz vor

 

Leitsatz (redaktionell)

Das rechtsstaatliche Anliegen eines allgemeinen Normenvollzugs bzw. das Interesse des Staates an geordneter Haushaltswirtschaft hat grundsätzlich Vorrang vor dem Individualanspruch auf vorläufigen Rechtsschutz, wenn ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit einer Rechtsnorm erhoben werden

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2-3; EStG § 34 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 27.08.2002; Aktenzeichen XI B 94/02)

 

Tatbestand

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 verfassungsgemäß ist.

Die Antragsteller wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Der Antragsteller erzielte u. a. als Geschäftsführer der Firma A GmbH Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Dieses Arbeitsverhältnis wurde mit Wirkung vom 28. Februar 1999 aufgehoben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 25. Februar 1999 verwiesen.

Der Antragsteller hatte mit Pensionsvertrag vom 18. Dezember 1991 von der A GmbH eine Pensionszusage erhalten. Mit Rücksicht auf die schlechte wirtschaftliche Situation der GmbH und auf das zum 28. Februar 1999 aufgelöste Arbeitsverhältnis hoben die Parteien den Pensionsvertrag am 3. März 1999 ebenfalls auf. Als Entschädigung für den Verlust der Ansprüche aus der Pensionszusage vereinbarten die Beteiligten eine Abfindung in Höhe von 500.000 DM. Dieser Betrag wurde dem Antragsteller am 10. März 1999 ausgezahlt. Im Übrigen wird auf die zwischen dem Antragsteller und der GmbH geschlossene Vereinbarung vom 3. März 1999 Bezug genommen.

In der ESt-Erklärung für 1999 erklärte der Antragsteller bei seinen Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit die Entschädigungszahlung in Höhe von 500.000 DM. Er wies darauf hin, dass zum Zeitpunkt des Zuflusses der Entschädigung § 34 Abs. 1 EStG noch in seiner alten Fassung (Versteuerung der außerordentlichen Einkünfte zum halben Steuersatz) gegolten habe und die Abfindungszahlung dementsprechend gemäß dieser Regelung der Besteuerung zu unterwerfen sei.

Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 18. Mai 2001 die ESt 1999 fest. Dabei versteuerte es die Abfindungszahlung unter Anwendung des ab dem 1. Januar 1999 geltenden § 34 Abs. 1 EStG (so genannte Fünftel-Regelung).

Hiergegen legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor:

§ 34 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 sei wegen echter Rückwirkung verfassungswidrig und damit nichtig. Für die außerordentlichen Einkünfte sei deshalb eine um 100.000 DM niedrigere ESt festzusetzen.

Das Finanzamt wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001 zurück. Desgleichen lehnte es den Antrag auf AdV ebenfalls am 7. Juni 2001 ab.

Die Antragsteller haben am 21. Juni 2001 Klage erhoben. Desgleichen begehren sie gerichtlich die AdV. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor:

Es bestünden im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des § 34 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999. Durch das Steuerentlastungsgesetz vom 24. März 1999 sei die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersatzes für außerordentliche Einkünfte durch die so genannte 1/5-Regelung mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 ersetzt worden. Nach heftiger Kritik sei der halbe durchschnittliche Steuersatz mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 wieder eingeführt worden. Die Wiedereinführung des halben durchschnittlichen Steuersatzes sei lediglich als Korrektur der Fehlentwicklung im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes anzusehen. Das Unterlassen des Gesetzgebers, die Wiedereinführung des halben durchschnittlichen Steuersatzes nicht rückwirkend auch für die Jahre 1999 und 2000 durchzuführen, führe zu einer nicht zu vertretenden Belastung der Antragsteller, die im Veranlagungszeitraum 1999 außerordentliche Einkünfte im Sinne von § 34 EStG erzielt hätten. Mit der Steuerfestsetzung unter Anwendung des § 34 EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1999/2000 geltenden Fassung seien die Antragsteller in ihren Grundrechten aus Art. 3 Grundgesetz (GG), Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Im Übrigen sei das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Die Gesetzeslage im Streitjahr sei durch eine Gesetzesänderung, die erst nach dem 1. April 1999 rückwirkend in Kraft getreten sei, geschaffen worden. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung am 1. April 1999 seien die Einkünfte jedoch bereits geflossen. Damit sei der Sachverhalt abgeschlossen gewesen, an den steuerliche Rechtsfolgen geknüpft werden konnten. Die Gesetzesänderung sei wegen echter Rückwirkung verfassungswidrig und damit nichtig.

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